Schweizer Bundesanwaltschaft Anklage gegen Ex-DFB-Chefs in WM-Affäre - Sommermärchen vor Gericht

Frankfurt/Main · Mehr als 13 Jahre nach dem Sommermärchen wird die dunkle Seite der WM 2006 vor Gericht verhandelt. Die Schweizer Bundesanwaltschaft hat Anklage gegen vier frühere Top-Funktionäre erhoben. Ob die entscheidende Millionen-Frage geklärt werden kann, ist aber ungewiss.

Das Präsidium des Organisationskomitees für die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland (l-r): der 1. Vizepräsident Horst R. Schmidt, Vizepräsident Theo Zwanziger, Präsident Franz Beckenbauer und Vizepräsident Wolfgang Niersbach.

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In der Affäre um die dubiosen Millionenzahlungen vor der Fußball-WM 2006 ist in der Schweiz Anklage gegen die drei ehemaligen DFB-Funktionäre Wolfgang Niersbach, Theo Zwanziger und Horst R. Schmidt erhoben worden. Auch der einstige Generalsekretär der FIFA, Urs Linsi, muss sich vor Gericht verantworten. Die Ermittlungen gegen WM-Cheforganisator Franz Beckenbauer laufen wegen dessen Gesundheitszustand allerdings gesondert weiter.

Worum geht es in dem Verfahren?

Im Jahr 2002 lieh sich Beckenbauer bei dem Geschäftsmann Robert Louis-Dreyfus umgerechnet 6,7 Millionen Euro. Der Kaiser brauchte nach eigenen Angaben das Geld angeblich, um der FIFA einen Vorschuss zu zahlen, für den die WM-Macher später im Gegenzug 250 Millionen Franken bekommen sollten.

Das Geld floss aus weiter ungeklärten Gründen nach Katar. Bei der Rückzahlung des Kredits an Dreyfus durch den DFB über die FIFA wurde das WM-OK und damit der DFB von den Beschuldigten über die Gründe der Zahlungen laut Bundesanwaltschaft „arglistig“ getäuscht.

Wie lauten die genauen Anschuldigungen?

Zwanziger und Schmidt sowie Linsi wird Betrug in Mittäterschaft vorgeworfen. Niersbach wird die Gehilfenschaft zu Betrug (jeweils (Art. 146 Abs. 1 StGB) angelastet. Die Ermittlungen wegen des Vorwurfs der Geldwäsche (Art. 305bis StGB) wurden im Juli eingestellt.

Laut Schweizer Bundesanwaltschaft wurden die untersuchten Tatbestände der ungetreuen Geschäftsbesorgung (Art. 158 StGB) und der Veruntreuung (Art. 138 StGB) nicht eigenständig angeklagt, „da die diesbezüglichen Sachverhalte vom Tatbestand des Betrugs bereits vollumfänglich erfasst werden“.

Was sagen die Beschuldigten?

Zwanziger und Niersbach wehren sich wortgewaltig gegen die Anklage. „Ich mache mir um diesen Vorgang gar keine Gedanken, weil er mit rechtsstaatlichem Vorgehen nichts zu tun hat“, sagte der 74 Jahre alte Zwanziger der Deutschen Presse-Agentur. Die Schweizer Ermittler seien „Getriebene, die Millionen für Ermittlungen in den Sand gesetzt haben“.

Niersbach teilte am Dienstag schriftlich auf Anfrage mit: „Es ist bezeichnend für dieses unsägliche Verfahren, dass man als Betroffener nach über drei Jahren erfahren muss, dass Anklage erhoben wird. Materiell kann ich nur wiederholen, dass die erhobenen Vorwürfe völlig haltlos sind.“ Von Beckenbauer, Schmidt und Linsi lagen vorerst keine Äußerungen zur Anklage vor.

Wann und wo findet die Gerichtsverhandlung statt?

Einen genauen Termin gibt es noch nicht. Aber wegen der Verjährungsfrist im April 2020 drängt die Zeit. Verhandelt wird laut Bundesanwaltschaft vor dem Schweizer Bundesstrafgericht in Bellinzona im Süd-Osten der Schweiz.

Welche Strafen drohen den Angeklagten?

Ein mögliches Strafmaß wird in Artikel 146 Abs. 1 des Schweizer Strafgesetzbuches geregelt. Darin heißt es: „Wer in der Absicht, sich oder einen andern unrechtmässig zu bereichern, jemanden durch Vorspiegelung oder Unterdrückung von Tatsachen arglistig irreführt oder ihn in einem Irrtum arglistig bestärkt und so den Irrenden zu einem Verhalten bestimmt, wodurch dieser sich selbst oder einen andern am Vermögen schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe bestraft.“

Warum wurde das Verfahren gegen Beckenbauer abgetrennt?

Der Fakt der Abtrennung des Verfahrens wurde schon Ende Juli bestätigt. Nun wurde auch der Grund genannt. „Eine gemeinsame
Beurteilung würde das Verfahren gegen die weiteren Beschuldigten unnötig verzögern, weil der Gesundheitszustand von Franz Beckenbauer nach derzeitiger Prognose eine Teilnahme oder Einvernahme an der Hauptverhandlung vor Bundesstrafgericht (BStGer) nicht zulässt“, hieß es von der Behörde.

Weiteren Zeitverzug können sich die Ermittler nicht leisten. Würde die Hauptverhandlung platzen, weil Beckenbauer an ihr nicht teilnehmen kann, geriete womöglich das ganze Verfahren in Gefahr. Denn: Liegt bis April 2020 kein erstinstanzliches Urteil vor, ist die Causa verjährt.

Entgeht der Kaiser einer juristischen Klärung?

Das ist derzeit ungewiss. Die Bundesanwaltschaft könnte eine separate Anklage gegen Beckenbauer erheben. Dann müsste sich zeigen, ob der einstige WM-Macher trotz angeschlagenem Gesundheitszustand in der Schweiz erscheinen könnte. Ist ihm das nicht möglich, scheinen die Chancen für Beckenbauer nicht schlecht, dass bis zum kommenden Frühling kein Urteil gefällt wird und die WM-Akte für ihn geschlossen wird.

Wird das Geheimnis um die tatsächliche Verwendung der 6,7 Millionen Euro doch noch gelüftet?

Das erscheint derzeit unwahrscheinlich. Beckenbauer und Linsi dürften die Antwort vermutlich kennen - wie auch bin Hammam und der einstige FIFA-Boss Joseph Blatter. Alle Beteiligten schweigen aber zu diesem Punkt. Auch die Schweizer Ermittler mussten eingestehen, keine Antwort gefunden zu haben, da „ein entsprechendes, an die katarischen Behörden gerichtetes Rechtshilfeersuchen der BA vom September 2016 bis dato unbeantwortet blieb“.

Sagen die Beschuldigten und mögliche Zeugen wie Blatter auch vor Gericht nichts, bleiben die von allen Beteiligten weiter dementierten Gerüchte der Bestechung von WM-Wahlmännern oder der Finanzierung des Präsidentschaftswahlkampfs von Blatter möglicherweise für immer im Raum stehen.