Borussia Mönchengladbach Dieter Hecking sieht Gladbach in Schlagweite zu Platz drei

Fohlen-Cheftrainer Dieter Hecking spricht im Interview über die Bundesligisten in der Europa-Krise, das Privileg, mit Fußball Geld verdienen zu dürfen und den umstrittenen Videobeweis.

Dieter Hecking spricht im Interview über Borussia Mönchengladbach und die Bundesliga.

Foto: Marius Becker

Mönchengladbach. Fohlen-Cheftrainer Dieter Hecking spricht im Interview über die Bundesligisten in der Europa-Krise, das Privileg, mit Fußball Geld verdienen zu dürfen und den umstrittenen Videobeweis.

Ihre Mannschaft hat sich jüngst Pfiffe im eigenen Stadion anhören dürfen. Wie sauer ist Ihnen das aufgestoßen?

Dieter Hecking: Die Pfiffe konnte ich nachvollziehen, weil wir kein gutes Heimspiel gemacht haben. Dann müssen wir das akzeptieren.

Ist die Erwartungshaltung in nicht mehr zu rechtfertigende Sphären geklettert?

Hecking: Wir sind in Schlagdistanz zu Platz drei. Wir wissen, dass die Erwartungen hoch sind — aber diese Erwartungen haben zehn, zwölf andere Vereine in der Bundesliga auch. Natürlich ist es unser Wunsch, sich für Europa zu qualifizieren. Nur Wünschen allein hilft da nichts. Wir brauchen auch die Qualität, die Kontinuität über einen längeren Zeitraumhinweg, um diese Erwartungshaltung zu erfüllen.

Wie lassen sich diese immer wiederkehrende Aussetzer erklären?

Hecking: Ich würde es nicht Aussetzer nennen. Vielleicht ist dieses „heute müssen wir aber“ gerade bei den Heimspielen im Borussia-Park für den einen oder anderen ein Problem. Die eine Erklärung kann ich ihnen nicht liefern. Wenn wir die hätten, dann würden wir sie abstellen.

Wie würden Sie Ihr Verhältnis zur Mannschaft beschreiben?

Hecking: Das Miteinander ist sehr gut und in den vergangenen elf Monaten sehr von Vertrauen geprägt. Natürlich wird es immer einen geben, der unzufrieden ist, weil er gerade nicht spielt — das ist normal.

Haben Sie als Trainer auch damit zu kämpfen, dass dieser Mannschaft seit Jahren immer wieder Führungsspieler abhanden gekommen sind?

Hecking: Dennoch schafft es dieser Verein, schafft es Max Eberl, immer wieder, neue, sehr gute Spieler für Gladbach zu gewinnen. Ich habe Denis Zakaria in der WM-Qualifikation der Schweiz gegen Nordirland gesehen — mit welcher Selbstverständlichkeit er sein erstes Spiel von Beginn an gespielt hat. Ich bin sehr begeistert darüber, dass wir diesen Spieler bei uns haben. Wenn Denis so weitermacht, kann auch er irgendwann einmal das Interesse eines ganz großen Klubs wecken. Dieses Schicksal teilen wir mit anderen Vereinen, selbst Dortmund kennt das. Von mir wird es da kein Jammern geben.

Sie jammern auch nicht darüber, dass sie seit ihrem Amtsantritt mit einer Vielzahl von verletzten Spielern zu kämpfen haben.

Hecking: Nein. Ich könnte anführen, dass wir jedes Mal sechs, sieben Ausfälle gehabt haben. darunter wichtigste Spieler. Dass wir mal über einen Zeitraum von fünf Wochen hinweg unsere vermeintlich stärkste Formation zur Verfügung gehabt hätten — das war noch nicht der Fall.

Spielt die Bundesliga in dieser Saison bislang verrückt?

Hecking: Bayern hatte große Probleme, Dortmund hat sie aktuell, ein Europa-League-Teilnehmer wie Köln ist Tabellenletzter. Diese Liga ist sehr ausgeglichen. Bayerns Probleme sind offenbar interner Natur gewesen, wie man nun sieht. Dass Dortmund dem Gegner Räume bietet, haben wir trotz der 1:6-Niederlage dort auch gesehen. Für Köln wird es natürlich langsam eng, da muss jetzt etwas passieren. Dann gibt es vielleicht noch vier, fünf andere Mannschaften, die mit dem Abstieg zu tun haben werden. Wenn nicht noch einer, wie in den vergangenen Jahren, in der Rückrunde einbricht. Dann bleiben da noch zehn bis zwölf Mannschaften, die um Platz drei bis zwölf spielen werden. Und zu denen zählt Borussia Mönchengladbach.

Klammern wir die Bayern aus - halten Sie die Kritik an der Bundesliga wegen des bisherigen Abschneidens im Europapokal für berechtigt?

Hecking: Dass Dortmund zwei Mal nicht gegen Nikosia hat gewinnen können, das hat nicht nur in Dortmund Fragen aufgeworfen, sondern beschäftigt auch den deutschen Fußballfan. Das ist aus deutscher Sicht in der Champions League nicht normal.Das bisherige Abschneiden in der Europa League wirft richtige Fragen auf. Die Ergebnisse sind nicht zufriedenstellend. Wenn du ein Jahr alles dafür tust, um nach Europa zu kommen, dann verstehe ich es manchmal nicht, warum die Vereine dann nicht mit ihren besten Mannschaften antreten. Das ist eine berechtigte Kritik an der Liga. Da darf man die Augen nicht verschließen. Die Fünfjahreswertung zeigt ja, dass wir international längst nicht so erfolgreich gewesen sind wie andere europäische Ligen. Da müssen wir aufpassen, da ist die ganze Liga gefordert.

Der Borussia-Park ist aktuell eine große Baustelle. Hotel, Reha-Zentrum, Museum, Ärztehaus werden für rund 31 Millionen Euro gebaut. Wie nehmen Sie als Cheftrainer das alles wahr?

Hecking: Das ist wahnsinnig spannend. Es zeigt, wie sich dieser Klub entwickelt. Es wird ja auch ein neues Internat gebaut, dazu gibt es Pläne für einen Umbau des Profitrakts. Hier entsteht etwas, was wahrscheinlich dann auch mal Standard in Deutschland sein wird. Das ist gar nicht hoch genug einzuschätzen.

Sie sind fünffacher Vater: Hilft das, wenn man mit so einer Gruppe arbeitet? Wie wichtig ist Ehrlichkeit?

Hecking: Das gegenseitige Vertrauen muss groß sein. Jeder hat das Anrecht, eine ehrliche Antwort zu kriegen, wenn er fragt. Genauso nehme ich mir aber auch das Recht, einen Spieler zu fragen: ‚Was ist eigentlich los bei dir?‘ Wer etwas besprechen will, kann immer zu mir kommen. Für mich ist es eine große Herausforderung, den Spielern immer ehrlich meine Meinungzu sagen. Sogar noch eine größere, als das was im Spiel auf dem Platz passiert. Denn die Einflüsse, die auf die Spieler einwirken, muss ein Trainer ordnen.

Sie haben ja auch viele junge Spieler in Ihrem Kader, die hautnah mitkriegen, dass sich das Fußballgeschäft fast ausschließlich nur noch um Geld dreht. In welcher Rolle sehen Sie sich abseits Ihrer Trainiertätigkeit, um mit diesen jungen Menschen umzugehen?

Hecking: Jeder geht anders mit Wohlstand um. Dass wir zu den privilegiertesten Bewohnern des Erdballs gehören, weil wir im Fußball unser Geld verdienen dürfen, das brauche ich nicht zu betonen. Dass Neid und Missgunst die Spieler begleitet, dürfen wir aber auch nicht verhehlen. Es ist aber eben so, dass der Markt für den Fußball neue Dimensionen erreicht hat, weil die Wirtschaft auch gesehen hat, dass sie Milliarden Menschen auf der ganzen Welt mit Fußball erreichen kann. Dass das Dimensionen annimmt, bei denen man einen Spieler für 220 Millionen Euro transferiert, dass mittelmäßige Bundesligaspieler für fast zweistellige Millionenbeträge bezahlt werden müssen, die man das nicht gutheißen braucht, ist unbestritten. Aber wenn du es nicht machst, bist du am Markt hintendran.

Ist diese Entwicklung Fluch und Segen zugleich?

Hecking: Das trifft es.

Mit welchen Pfunden kann die Borussia wuchern, um die eigenen sehr guten jungen, aber zuletzt zu Top-Klubs abgewanderten Spieler wie Marco Reus, Granit Xhaka, Marc-André ter Stegen in Zukunft langfristig zu binden?

Hecking: Das geht in erster Linie über den sportlichen Erfolg. Dass wir international spielen. Dass Borussia mal wieder Titel gewinnt. Wenn du einen Titel gemeinsam errungen hast, ist die Verbundenheit noch größer. Allerdings habe ich das Gegenbeispiel in Wolfsburg erlebt, als wir nach dem DFB-Pokal-Sieg gesagt haben, jetzt haben wir endlich mal ein Fundament und dann mit Kevin De Bruyne und Ivan Perisic zwei Eckpfeiler weggebrochen sind. Oder Borussia Dortmund im Vorjahr, als Aki Watzke zurecht sagte, wir wollen alle Spieler behalten und plötzlich Ilkay Gündogan, Henrikh Mkhitaryan und Mats Hummels weg waren. Und wenn die Bayern nicht aufpassen, dann passiert das sogar ihnen, von Mannschaften, die noch ein Stück weit über ihnen stehen. Für die Borussia wird es das Wichtigste sein, ein Umfeld zu bieten, in dem sich jeder Spieler wohlfühlen kann.

Wie wichtig ist in diesem Zusammenhang die aktuelle Saison?

Hecking: Derzeit ist die Borussia punktgleich mit Frankfurt auf Platz sechs und liegt nur vier Zähler hinter Dortmund auf Rang zwei. Der Wille ist ungebrochen, wieder international dabei zu sein. Das kann Spieler bewegen zu bleiben. Denn hier entsteht ja wieder etwas Gutes mit den ganzen jungen Spielern. Wenn man sieht, dass wir im zentralen Mittelfeld mit Christoph Kramer, Tobias Strobl, Lazslo Benes, Mickael Cuisance, Denis Zakaria und nächste Saison Florian Neuhaus ein Gerüst für die nächsten Jahre haben — wenn sie uns denn alle erhalten bleiben. Das ist schon ein hohes Niveau.

Viele Klubs schotten sich ab. In Gladbach hat man das Gefühl, hier bekommen die Fans noch einen Bundesligisten zum Anfassen. Ist Ihnen diese Nähe zum Fan wichtig?

Hecking: Ich bin dafür, dass wir daran festhalten. Natürlich wird es auch mal ein, zwei Tage in der Woche geben, an denen das Training nicht öffentlich ist. Bei solchen geschlossenen Einheiten geht es darum, in Ruhe zu arbeiten. Wir dürfen den Fan nicht verlieren. Wir sind ja froh, dass wir diese Atmosphäre haben und die Stadien voll sind und wir nicht wie in Italien vor teilweise 10.000 oder 12.000 Zuschauern spielen müssen. Das war immer ein Markenzeichen der Bundesliga, dafür muss du aber auch bereit sein, das ein oder andere an die Fans zurückzugeben.

Wie groß ist Ihr Respekt vor Jupp Heynckes. Sie haben ihn ja selber noch als junger Spieler erlebt?

Hecking (lacht): Ich hatte natürlich gehofft, dass er nicht ganz so gut einschlägt, damit die Saison spannend bleibt, aber wer Jupp Heynckes kennt, der weiß, dass er den Fußball auch mit 72 Jahren noch liebt und alles dafür gibt, erfolgreich zu sein und das auch vorlebt. Er scheint genau die Hebel gefunden zu haben, an denen man beim FC Bayern ansetzen musste, um die sportliche Qualität der Spieler — und die ist unbestritten — wieder auf den Platz zu bringen. Er hat aus meiner Sicht in Sachen Empathie und Kommunikation im Alter noch dazu gelernt.

Gehen Sie davon aus, dass der Bayern-Zug wieder richtig Fahrt aufnehmen wird und am Ende mit Vorsprung die Meisterschaft holt?

Hecking: Ich kriege ja vieles auch nur aus den Medien mit, aber man hört schon raus, dass sie sagen, wir sind noch nicht da, wo wir eigentlich hin wollen. Der Hunger ist wieder da. Jeder ist bereit, den Meter mehr zu machen, der vielleicht unter Ancelotti noch gefehlt hat. Wenn das so ist, ist diese Mannschaft in Deutschland unantastbar.

Macht der Videobeweis den Fußball kaputt?

Hecking: Ich war in Wolfsburg beim Spiel gegen die Hertha und sah die beiden Entscheidungen von der Tribüne aus. Ich sagte spontan zu meinem Sohn, das ist Abseits. Der Videoassistent sah es genauso. Nach diesen beiden Entscheidungen singen beide Kurven: Ihr macht unseren Sport kaputt, dabei waren die Entscheidungen richtig. Was zeigt das? Wir müssen Transparenz schaffen. In der Halbzeitpause sagt der Stadionsprecher, eigentlich hätte es 4:1 stehen müssen und wiegelt das Publikum damit noch mal auf. Nach dem Spiel erklärt Mario Gomez zum Thema Videobeweis: Wir haben die Schiedsrichter immer kritisiert, jetzt gibt es den Videobeweis, der im Nachhinein richtig ist und wir meckern immer noch. Der fragende Journalist entgegnet: Ja, aber das dauert doch alles viel zu lange. Wenn wir so damit umgehen, hat der Videobeweis keine Chance.

Sie haben in einem Zeitungsinterview gesagt, „wenn wir so mit dem Videobeweis umgehen, gibt es ihn maximal noch bis zur Winterpause“.

Hecking: Das war bewusst eine provokante Aussage, mit der ich alle wachrütteln wollte. Mir ist schon bewusst, dass das Projekt imWinter nicht eingestampft wird. Aber wir tun leider alles dafür. Spieler, Trainer und Medien. Lutz Michael Fröhlich hat es aber auch noch mal gesagt: Bislang wurden 33 Fehlentscheidungen durch den Videoassistenten korrigiert, die sonst falsch gewesen wären. Das sind 33 Entscheidungen, die das Spiel gerechter machen — und darum ging es bei der Einführung. Dass es Dinge beim Videobeweis gibt, die nachjustiert werden müssen, das sieht jeder. Aber es hilft nichts, wenn wir immer nur darauf warten: Heute ist wieder Videobeweis, das wird aber spanend. Am Anfang hieß es noch, jetzt fällt der Diskussionsmontag weg, weil alles gerechter wird. Jetzt wird aber noch mehr diskutiert.

Finden Sie, dass noch nicht klar ist, wann der Videoassistent eingreift?

Hecking: Eigentlich war alles klar: Er greift bei Elfmetern, Roten Karten, Verwechslungen und Abseitsentscheidungen ein. Dann wurden nach dem 5. Spieltag Korrekturen vorgenommen — ohne dies entsprechend zu kommunizieren. Klar ist auch, dass die Emotionalität durch den Videobeweis eingeschränkt wird, dafür gibt es aber mehr Gerechtigkeit. Am Ende muss die IFAB entscheiden, was man will.

Wie realistisch ist es, dass Borussia Mönchengladbach in den nächsten zehn Jahren mal wieder einen Titel gewinnt?

Hecking: Ich betrachte es als nicht unrealistisch. Jeder Verein lechzt danach. Ich finde es schon gut, wenn es nicht immer nur Dortmund und Bayern sind, die um die Titel spielen. Mit RB Leipzig tut sich da gerade ein Verein auf, der dauerhaft um Titel mitspielen kann. Dieses Jahr sind im Pokal mit Hoffenheim und Leipzig schon gute Teams ausgeschieden, Dortmund und Bayern müssen jetzt gegeneinander ran — der Pokal bleibt der einfachste Weg, einen Titel zu holen.

Leverkusen ist ein gutes Los im DFB-Pokal-Achtelfinale?

Hecking: Ich finde es gut. Nicht, weil wir noch was offen haben, sondern weil es ein Heimspiel gegen Leverkusen kurz vor Weihnachten ist, in dem wir mit einem Sieg ins Viertelfinale einziehen können. Ich denke aber, Heiko Herrlich denkt da ähnlich. Es ist ein 50:50-Spiel.