Gerardo Seoane Ein Arbeiter mit einem klaren Plan

LUZERN · Beim FC Luzern ging der Trainer-Stern des Gerardo Seoane auf. In der Zentralschweiz sprechen sie voller Respekt über den Gladbach-Trainer

 Mönchengladbachs Trainer Gerardo Seoane an der Linie.

Mönchengladbachs Trainer Gerardo Seoane an der Linie.

Foto: dpa/Federico Gambarini

Als hätte es noch eines Beweises bedurft, wie eng die beiden Personen, die an diesem Samstag in den Geschäftsräumen des FC Luzern sitzen, mit Gerardo Seoane verbunden sind, klingelt das Handy von David Zibung. Der 39-Jährige ist Rekord-Spieler des FC Luzern und sehr eng mit Gladbachs Cheftrainer befreundet. Auf dem Display seines Handys leuchtet der Name auf: „Gerri Seoane“. „Ich kann jetzt nicht“, lacht Zibung und drückt das Telefonat weg. Es ist Samstagmittag, sechs Stunden vor dem Duell der Borussia mit dem FC Bayern München. Die brennenden Themen für Seoane und sein Team: Wer steht nach dem Ausfall von Torwart und Kapitän Jonas Omlin im Tor? Und wie kann man gegen den offensivstarken Rekordmeister aus München die eigene Defensivarbeit bestens in Szene setzen?

Remo Meyer hat
Seoane gefördert

Rund 630 Kilometer weiter südlich beraten die beiden Gesprächspartner über ganz andere Dinge. Remo Meyer, der Sportliche Leiter des FC Luzern, und sein Mitarbeiter David Zibung bereiten sich via Videoanalyse auf das Duell in der Schweizer Super League gegen den FC Lugano vor. Für ein Gespräch über ihren ehemaligen Teamkollegen, Cheftrainer und Freund haben sie trotzdem Zeit. „Natürlich verfolgen wir die Bundesliga und jetzt ganz speziell auch das, was Gerardo Seoane macht“, sagt Remo Meyer. Der ehemalige Spieler von 1860 München hatte im Januar 2018 den Mut, den damals noch relativ unbekannten Seoane zum Cheftrainer des FC Luzern zu machen.

Die Ausgangslage damals: Luzern stand unten in der Tabelle. Zudem gab es öffentlich Querelen rund um den damaligen Cheftrainer Markus Babbel. Der ehemalige Bundesligaprofi und deutsche Nationalspieler musste den Verein dann in der Winterpause der Saison 2017/18 verlassen. Es folgt nach: Jugend-Trainer Gerardo Seoane. Im Profifußball bis dato ein absoluter No-Name. Doch das sollte sich schnell ändern. Eine Trainer-Entscheidung, die zuvor in der Öffentlichkeit nicht überall gutgeheißen wurde, war auf einmal in aller Munde. „Ich kannte Gerardo lange und wusste, was ich an ihm habe. Dann haben wir die beste Rückrunde der Vereinsgeschichte gespielt und sind am Ende sogar ins internationale Geschäft eingezogen – das war der Wahnsinn“, berichtet Meyer.

„Er kann sich vollkommen mit einem Verein identifizieren“

In 17 Spielen führt Seoane den FC Luzern bei einem Punkteschnitt von 2,0 auf Rang drei. Die Euphorie in der Innerschweiz ist riesig. „Beim FC Luzern wird eine Überzeugung, eine Verbindung zum Verein gelebt, die Gerardo Seoane damals absolut verkörpert hat. Er kann sich vollkommen mit einem Verein identifizieren. Und genau das ist natürlich hier sehr gut angekommen“, so Meyer. Ein Aspekt, der sich auch beim Schritt nach Gladbach – rund fünf Jahre später – wiederfinden soll. „Wir haben viel über die Aufgabe in Gladbach gesprochen. Die Abgänge, der Neuanfang, der Verlust von Topspielern. Und dennoch hat Gerardo ganz bewusst gesagt: ‚Ich mach‘ das‘, weil er einfach die Überzeugung hatte, sich mit diesem Verein und diesem Umfeld identifizieren zu können“, berichtet Zibung.

Nach dem nie vorhersehbaren Erfolg in Luzern lotsen die Young Boys aus Bern das Trainertalent zu sich. Wieder mit Erfolg. Seone wird drei Mal Schweizer Meister in Serie, gewinnt einmal den Schweizer Pokal und geht den nächsten Schritt in der Karriereleiter: Er wird Cheftrainer bei Bayer Leverkusen, wo er nach einem starken Premierenjahr und einem schwachen Start in seinem zweiten Trainerjahr unter dem Bayer-Kreuz entlassen wird. „Das war ein Moment, der ihn zum Nachdenken gebracht hat. Bis dahin ging es nur bergauf. Doch daraus hat er gelernt, es hat ihn schlussendlich weitergebracht und stärker gemacht“, ist sich Zibung sicher.

Ein weiterer Aspekt, der den Verantwortlichen der Borussia bei ihrer Entscheidung für Seoane aufgefallen war – und der sich mit der aktuellen Ruhe trotz nur einem Punkt aus den ersten drei Bundesliga-Spielen auch aufs Umfeld übertragen haben dürfte. „Die Reaktion der Fans nach dem 0:3 gegen Leverkusen war ja ein Sinnbild für die derzeitige Lage. Wann hat es so einen Rückhalt von den Rängen in Gladbach zuletzt gegeben?“, fragt Zibung.

Beide beschreiben Seoane
als akribischen Arbeiter

Der Druck ist früh in der Saison da, und doch befinden die beiden Schweizer den Wechsel ihres Landsmannes zur Borussia keineswegs als Rückschritt. „Ich glaube eher, dass es genau der richtige Weg ist“, sagt Zibung. Der Umbruch im Kader, der nicht nur auf dem Papier schwere Saisonstart und obendrauf noch die Verletzung von Kapitän Jonas Omlin: Ein schwieriges Unterfangen. „Vergleichbar ist es trotzdem nicht mit der Zeit damals in Luzern. Wir steckten damals sportlich wesentlich tiefer im Schlamassel – und seine Trainer-Erfahrung damals war begrenzt“, urteilt Meyer.

Doch was hat sich seitdem verändert? Was hat Seoane in seiner Karriere so erfolgreich gemacht? Für Zibung ist das klar: „Er ist ein unglaublich akribischer Arbeiter, der einen klaren Plan hat, wie er Fußball spielen lassen will. Dazu kommt, dass er ein Sprachtalent ist und damit die Spieler ganz anders einnehmen kann.“ Ein Aspekt, der gerade bei einem Umbruch des Teams von großem Vorteil sein kann. „Es bindet dich als Spieler direkt viel mehr und schafft eine persönliche Ebene zum Cheftrainer“, sagt Zibung, dessen Nachfolger in Luzern der heutige Gladbach-Keeper Jonas Omlin wurde.

Es kommt auch auf die Taktikkünste Seoanes an

Gerade dieser Jonas Omlin wird aufgrund einer Schulter-OP bei Borussia Mönchengladbach lange ausfallen. Moritz Nicolas vertrat den Schweizer gegen den FC Bayern München (1:2) souverän. In den kommenden Partien wird – beginnend mit dem Auswärtsspiel am 17. September in Darmstadt – es jedoch nach nur einem Punkt aus den ersten drei Spielen noch viel mehr auf die Taktikkünste des Trainers ankommen, der aber auch über seine Emotionalität eine Bindung zum Spiel seiner Mannschaft findet. „Wenn man gesehen hat, wie er sich beispielsweise nach dem 4:4-Ausgleich in Augsburg in der Nachspielzeit gefreut hat und wie er da aus sich rausgegangen ist, muss ich sagen, das hat es in Leverkusen von ihm trotz des Erfolges im ersten Jahr nicht gegeben“, sagt Zibung.