Herr Virkus, Borussia Mönchengladbach hat einen großen Umbruch erlebt. Wo stehen Sie jetzt?
Interview mit Sport-Geschäftsführer Was Roland Virkus alles mit Borussia Mönchengladbach plant
Interview · Borussia Mönchengladbachs Sport-Geschäftsführer Roland Virkus im großen WZ-Interview über den Umbruch und dessen Ausmaß, seine Hoffnung Nathan Ngoumou, neue Werte und einen weiteren Stürmer.
Roland Virkus: Wir haben uns ja sehr bewusst dafür entschieden, Dinge zu verändern. Weil bei uns Spieler über Jahre hinweg zusammengespielt haben, brauchten wir ganz einfach eine neue Energie. Und weil auch Spieler gegangen sind, die bleiben sollten, ist das noch ein bisschen größer ausgefallen. Wo wir stehen? Wir sind mitten im Prozess, der ist nicht abgeschlossen. Wir sind mit unserem jetzigen Kader zufrieden, aber den einen oder anderen Wunsch habe ich noch. Es kann aber sein, dass wir etwas in eine andere Transferperiode verschieben müssen.
Die Ausschläge zwischen Depression und Euphorie waren schon in der Vorbereitung zu spüren. Auch für Sie?
Virkus: Wir erleben hier gerade eine andere Stimmung als zum Ende der vergangenen Saison. Ich habe die Leute ja auch grundsätzlich verstanden: Es sind Spieler von hoher Qualität gegangen, natürlich herrscht dann Verunsicherung. Aber wir hatten ja auf der Sachebene, auf der wir agieren müssen, immer Ideen, und die meisten davon konnten wir umsetzen. Wir wussten, was wir wollen, auch wenn wir nicht alles nach draußen kommunizieren konnten. Es galt die Ärmel hochzukrempeln. Das hat dieser Verein immer gemacht.
Sie sprachen von weiteren Wünschen. Welcher davon wird noch realisiert?
Virkus: Wir haben mit Tomas Cvancara endlich wieder einen so genannten Target-Spieler. Das ist ganz, ganz wichtig, weil der ein Fixpunkt eines Spiels ist. Ein Target-Spieler war Marcus Thuram zuletzt aus der Not heraus, weil er ja eigentlich eher ein Spieler ist, der von außen nach innen drängt. Wenn Cvancara nun aber ausfallen sollte, haben wir keinen echten Ersatz. Und der Junge ist 23 Jahre alt, kommt aus der tschechischen Liga und wird hier keine 34 Spiele durchspielen können. Wir suchen jemanden, der ihn ersetzen kann. Grant-Leon Ranos und Alassane Plea sind es nicht, die besetzen andere, ähnliche Räume. Sie können es mal für ein, zwei Spiele sein. Aber eben nicht auf Dauer.
Diese Target-Spieler sind selten und kosten viel Geld.
Virkus: Die sind nicht einfach zu bekommen, aber ich habe immer von intelligenten Lösungen gesprochen. Und an denen arbeiten wir gerade.
Sie haben eine genaue im Kopf.
Virkus: Ja, mehrere. Was sich letztlich davon umsetzen lassen wird, werden wir sehen. Es wäre dilettantisch, wenn wir die nicht im Kopf hätten.
Wann ist die Idee Tomas Cvancara geboren worden?
Virkus: Er steht schon lange auf unserer Liste. Denn dieser Zielspieler hat uns in der letzten Saison gefehlt. Aber seinerzeit haben das wirtschaftliche Zwänge verhindert. Wir hatten Breel Embolo als Zielspieler abgegeben, weil es anders als zum Beispiel bei Thuram ein Angebot gab und wir wussten, dass wir Transfererlöse erzielen müssen. Und danach war der Markt so schwierig, dass wir Breel nicht ersetzen konnten. Zeitgleich hatten wir beschlossen, auf der offensiven Außenposition die Personalie Nathan Ngoumou zu forcieren. Ein schneller Spieler als Vorgriff auf die Zukunft. Aber wir wussten, dass Nathan als französischer Zweitligaspieler eine Anpassungszeit braucht. Jetzt scheint es, als hätte er genau dieses Jahr gebraucht. Er ist jetzt da.
Ist Ngoumou der Gewinner der Vorbereitung?
Virkus: Alle jungen Spieler haben es gut gemacht. Die Entwicklung von Nathan Ngoumu freut mich aber besonders, das sage ich offen. Der Junge ist öffentlich viel zu schlecht weggekommen, weil es im Umfeld an Geduld gefehlt hat. Nathan Ngoumou hat eine super Vorbereitung gespielt.
Die Dynamik im Gladbacher Spiel schien zuletzt ein großes Problem zu sein, auch die Laufintensität. Wie wird sich das Spiel der Mannschaft verändern?
Virkus: Ich glaube, dass wir insgesamt variabler spielen, vorne wie auch hinten. Der Trainer hat schon mit Dreierkette oder auch mal pendelnder Viererkette gespielt. Vorne kommen wir jetzt auch mal ins schnelle Umschaltspiel, weil wir mit Ngoumou, Franck Honorat, Cvancara und auch Robin Hack schnelle Spieler haben. Die Genese von Borussia Mönchengladbach war ja nicht immer Ballbesitzfußball, sondern eigentlich das schnelle Umschaltspiel. Und wir haben gezeigt, dass wir das jetzt hinbekommen. Aber wir müssen auch Lösungen gegen tief stehende Gegner haben, da sind wir mit Cvancara variabler.
Wie weit ist Cvancara?
Virkus: Schwer zu sagen. Es wird ein Anpassungsprozess. Vom Typ her könnte es schnell gehen. Aber wir brauchen Geduld. Klar ist: Er ist ein sehr, sehr guter Stürmer, der Fähigkeiten hat, die wir lange nicht hatten. Robustheit, Größe, Schnelligkeit, technisch ist er sicher noch ausbaufähig. Aber er hat beim tschechischen Meister gespielt. Und die sind ja auch nicht blind (lacht).
Welche Hoffnung schürt Franck Honorat bei Ihnen?
Virkus: Ein sehr schneller, variabler, polyvalenter Spieler, ein guter Typ. Er ist ein Arbeiter für die Mannschaft.
Wäre er auch gekommen, wenn Jonas Hofmann geblieben wäre?
Virkus: Zumindest hatten wir ihn auf dem Schirm. Ob er gekommen wäre, kann ich nicht sagen.
Wirkt der plötzliche Abgang von Jonas Hofmanns noch nach?
Virkus: Wir verlieren mit ihm hohe Qualität, Jonas ist ein Top Spieler, keine Frage. Man soll dem Gewesenen nicht lange nachweinen. Aber enttäuscht war ich, weil er uns eigentlich zugesagt hatte.
Auch enttäuscht von Bayer Leverkusen, ihn trotz Zusage freilich bei einer bestehenden Klausel anzusprechen?
Virkus: Nein, das ist ein ganz normaler Prozess. Die Leverkusener machen ihre Arbeit, wir unsere. Es geht um die Form des Wechsels, nicht um die Tatsache an sich.
Ist dieser Gladbacher Umbruch nun größer geraten, als Sie ihn geplant hatten?
Virkus: Diesen Umbruch wollte der ganze Klub. Uns allen war klar: Wir müssen das forcieren. Aber die Dinge werden durch gewisse Vertragskonstellationen natürlich auch gelenkt: Wenn zum Beispiel Ramy Bensebaini sagt, dass er bei uns bleiben und seinen Vertrag auslaufen lassen will, dann fehlt mir der Hebel. Das Gleiche gilt bei Thuram: Wenn ein Angebot gekommen wäre, wären wahrscheinlich beide Seiten bereit gewesen für einen früheren Wechsel. Aber es gab keines. Es gibt also Zwänge, die wir nicht beeinflussen können. Natürlich ist der Umbruch jetzt noch größer geworden als erwartet. Den hätten wir insgesamt vielleicht gerne etwas sanfter gehabt. Aber wir gehen damit um. Punkt.
Auch im Umfeld des Teams haben Sie fast alles verändert. Warum?
Virkus: Wir brauchten neue Energie, die sich auf die Mannschaft übertragen soll. Das war eines unserer Ziele. Und wir mussten Arbeit so verteilten, dass wir effektiver und schneller sein können. Jetzt gilt, es Prozesse einzuspielen.
Wie gut läuft die Zusammenarbeit zwischen Ihnen und dem neuen Sportdirektor Nils Schmadtke?
Virkus: Die Zusammenarbeit zwischen uns läuft bislang hervorragend. Nils ist der verlängerte Arm zur Mannschaft, der den Staff unten in der Kabine führt, der den ganz engen Draht zum Trainer hat. Ich bin durch Transfergeschäfte und andere Dinge nicht mehr jeden Tag bei dem Team vor Ort. Aber es ist wichtig, dass du die Strömungen sofort erkennst und gegebenenfalls gegenarbeiten kannst.
Viele loben Sie für diese Transferphase.
Virkus: Zunächst: Das Lob müsste an mehrere Personen gehen. Was mich persönlich angeht: Das ist mir ziemlich egal. Es geht nur darum, den Klub neu aufzustellen. Da bin ich das letzte Glied in der Kette. Wir brauchten eine gesunde Basis, von der wir jetzt neu aufbauen können. Ich muss mir hier in Gladbach keinen Namen mehr machen. Das ist meine Heimat, man kennt mich aus der Jugend, man wusste, wie ich arbeite. Man muss sich selbst vertrauen, und das habe ich immer getan.
Wird Borussia Mönchengladbach nie wieder ein Profi mit ausgelaufenem Vertrag ohne Ablösesumme verlassen nach den vielen schlechten Erfahrungen der jüngeren Vergangenheit?
Virkus: Das kann man so nicht sagen, weil wir nicht auf alles Einfluss haben. Unser Ziel ist es ganz klar, dass das nicht mehr vorkommt, wenn wir denn nicht selbst den Spieler abgeben wollen. Aber es gibt viele Beteiligte. Wir, der Spieler, die Berater und auch noch externe Einflüsse, die sie nicht steuern können. Klar ist: Es war immer unsere Vorstellung, Spieler zu entwickeln und sich dann auch zum Verkauf durchzuringen, wenn sie an ihrem Höhepunkt angelangt waren. Wir sind stark genug aufgestellt, dass wir dann jeweils neue Projekte angehen können. Manu Koné ist ein gutes Beispiel dafür. Wir haben Zakaria verloren und Koné geholt, der sich hervorragend entwickelt hat. Das war unser Weg, und er wird es wieder sein. Wir wollen und müssen wieder Werte schaffen. Anschubfinanzierung war immer die Jugend. Entweder die eigenen oder die internationalen Toptalente.
Werden noch Spieler gehen?
Virkus: Es kann sein, dass der eine oder andere den Klub noch verlässt.
Auch fixe Säulen der Mannschaft?
Virkus: Wir sprechen über Nico Elvedi. Wir wollten ein frühes Commitment der Spieler, und Nico hat uns gesagt, dass er nach acht Jahren bei uns etwas Anderes machen will. Jetzt schauen wir, ob die Gespräche gut ausgehen. Nico könnte uns verlassen, er muss es aber nicht.
Die Gespräche mit Wolverhampton ziehen sich.
Virkus: Wie lange das Gespräch mit dem Interessenten dauert, können wir nicht sagen. Wir haben einen wirtschaftlichen Wunsch, den wollen wir erfüllt sehen. Der Verhandlungspartner ziert sich noch ein bisschen.
Wie anstrengend war diese Transferphase für Sie, Herr Virkus?
Virkus: Sie war spannend. Wenn man sieht, was aus eigener Gestaltung entstehen kann, dann freut man sich doch. Das ist wie beim Hausbau: Sie legen Hand an und freuen sich am Erbauten.
Und was ist das für ein Haus bei der Borussia geworden? Eine Villa oder eine Doppelhaushälfte?
Virkus: Eines, das steht. Das grundsolide ist. Und man kann es sich gut ansehen.
Wie schätzen Sie den neuen Abwehrspieler Maximilian Wöber ein?
Virkus: Er ist ein Leader, hat in jungen Jahren viel erlebt. Sevilla, Amsterdam, Leeds, das sind viele Fußballkulturen. Und Max hat schon in Salzburg früh international gespielt. Und das alles mit jetzt 25. Er wird uns helfen, weil wir eine junge Mannschaft haben, die Führung braucht. Eine Achse mit Omlin, Itakura, Wöber, Weigl und Neuhaus kann eine gute Achse sein. Dazu kommt: Kommunikation findet über Muttersprache statt, und auch diesbezüglich ist Wöber ein Gewinn.
Nennen Sie Florian Neuhaus bewusst als neuen Achsenspieler?
Virkus: Flo hat unglaubliches fußballerisches Potenzial, das gilt es jetzt zu wecken. Dafür braucht Flo Neuhaus Vertrauen, und dieses Vertrauen haben wir ihm gegeben.
Gab es zum Ende der vergangenen Saison auch mal die Idee, mit Ex-Trainer Daniel Farke weiterzumachen?
Virkus: Der Trainer stand bei allen Gedanken vom notwendigen Umbruch lange gar nicht im Fokus. Da ging es zuerst um den Kader und die ganze Struktur drumherum. Ganz zum Schluss ist der Trainer dazu gekommen.
Und dann haben Sie Farke gefragt, ob er den neuen Weg mitgehen will oder war schnell klar, dass das ein anderer macht?
Virkus: Wir standen in ständigem Austausch. Daniel Farke ist ein guter Trainer. Aber: Die Stimmungslage - wohlgemerkt nicht nur bei den Anhängern, sondern auf vielen Ebenen - war nicht gut genug, um mit ihm weiterzumachen. Das konnten wir für den Verein nicht riskieren.
Und Gerardo Seoane war das vorbereitete Trainer-Ass im Ärmel?
Virkus: Wir kannten ihn, aber der Kontakt ist relativ spät entstanden. Seoane bringt nochmal etwas mit, was Farke nicht hat: Er hat lange im Jugendbereich bei Luzern gearbeitet. Ein Bereich, in dem auch wir unser Glück finden müssen: Jugend, Ausbildung, das wird wichtig. Seoane hat es in Luzern und Bern geschafft, junge Spieler in den Profibereich zu integrieren. Und in Bern hat auch das Modell mit ihm funktioniert, gereifte Spieler schlussendlich auch zu verkaufen. Das haben wir alles beobachtet.
Wie ist Seoane angekommen?
Virkus: Wir haben das bekommen, was wir erwartet haben: Er ist ein akribischer Arbeiter, sehr offen, nimmt alle mit. Ein Teamspieler, der mit jungen Spielern kann. Wir müssen die Jungs schneller wieder an die erste Mannschaft heranführen. Mit Philipp Schützendorf und Guido Streichsbier als ehemaliger DFB-Ausbilder haben wir dafür auch neue Verantwortlichkeiten geschaffen.
Einige sagen, auf den defensiven Außenpositionen sind Sie zu jung und zu dünn aufgestellt. Können Luca Netz, Lukas Ullrich und Joe Scally das tragen?
Virkus: Abgesehen davon, dass wir auf beiden Positionen je nach System erfahrene Alternativen haben: Es geht bei der Arbeit mit jungen Spielern darum, Chancen zu ermöglichen – aber auch Risiken einzukalkulieren. Alle in Deutschland wollen immer größtmögliche Sicherheit, die gibt es aber nicht. Schauen sie in andere Sportarten: Dort holen Sportler im mittleren Alter ihre Medaillen. Aber im Fußball sollen sie immer alle schnell perfekt sein? Ich sage Ihnen etwas: Die Erwartungshaltung an diese jungen Menschen ist hier viel zu groß. Das haben wir selbst produziert. Wir alle, in der Ausbildung, auch die Medien.
Gehen Sie auch die Kritik mit, dass den jungen Spielern zu viel abgenommen und vorgegeben wird, Kreativität und Lösungen damit aber sterben?
Virkus: Ja, absolut. Wir müssen Spieler viel mehr in der Verantwortung lassen. Immer freilich mit dem Wissen: Die werden Fehler machen. Und die müssen wir akzeptieren. Daran müssen wir alle arbeiten, und zwar auf allen Ebenen.
Wen werden Sie am meisten vermissen von den Gladbacher Abgängen?
Virkus: Lars Stindl. Er ist ein natürlicher Leader. Er kann immer noch den Unterschied ausmachen. Nicht mehr in 34 Spielen, aber in zehn bis zwölf. Wir haben uns gemeinsam dazu entschieden, auseinander zu gehen, weil er in Karlsruhe nochmal seinen Weg rund machen will. Schade, aber wir brauchten natürlich auch eine neue Führungshierarchie. Und Lars hat für sich Gedanken darüber gemacht, ob er dann vielleicht sogar hinderlich gewesen wäre. Weil er ein schlauer, klarer Kopf ist.
Kann ihn seine zweite Karriere nochmal zurück nach Mönchengladbach führen?
Virkus: Wer weiß? Die Türen für ihn in Mönchengladbach sind immer offen.
Wird Borussia Mönchengladbach wieder eine Mannschaft haben, die ihre Fans durch Kampf, Willen und Bereitschaft einfängt?
Virkus: Kämpfen ist immer relativ. Wir haben eher eine Mannschaft, die sich über den Fußball definiert, aber die in ihren Möglichkeiten alles gibt - das erwarten wir. Und da kann ich den Fans sagen: Das werden wir auch sehen.
Macht Ihnen das Pokalspiel gegen Bersenbrück am Freitag in irgendeiner Form Angst?
Virkus: Warum? Angst und Geld haben wir nie gekannt (lacht).
Und das schwierige Liga-Auftaktprogramm – um im Bild zu bleiben – bedroht das neue Haus nicht substanziell?
Virkus: Dass Stürme ein Haus immer auch mal beanspruchen können, ist doch logisch. Entscheidend ist, dass das Haus dann stabil bleibt. Bei Rückschlägen, die kommen werden, müssen wir stabil und standhaft bleiben. Mein Credo: Am Ende sind die Ferkel fett.