Günter Netzer: Der erste Popstar der Liga
„Ich bin ein Glückspilz und rundum zufrieden“, sagt Günter Netzer. Er hat tatsächlich allen Grund dazu.
Mönchengladbach. Günter Theodor Netzer weiß, dass er Glück gehabt hat. Dass er die Kunst beherrscht, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein. Und die richtigen Leute kennenzulernen. „Ich bin ein Glückspilz“, sagt der ehemalige Fußball-Star und ewige König vom Gladbacher Bökelberg. „Immer Zufriedenheit herstellen — das hat für mich eine ganz besondere Bedeutung.“
Dass sein Leben zu einer ziemlich einzigartigen Erfolgsstory geworden ist, hat er dem Fußball zu verdanken. Mit all seinen Nebenschauplätzen. Er weiß das zu schätzen: „Ich bin wirklich rundum zufrieden und dankbar. Es hat alles gepasst.“ Am Sonntag wird der gebürtige Mönchengladbacher mit Wahlheimat Zürich 70 Jahre alt.
Dabei kommt Günter Theodor Netzer aus Verhältnissen, die man gemeinhin einfach nennt. Sein Vater hatte ein Samen-Geschäft, seine Mutter betrieb eine Art Tante-Emma-Laden. Das Gymnasium verließ er vorzeitig, schloss die Handelsschule ab. Und dann war da noch der Fußball. Ob als Spielmacher bei Borussia Mönchengladbach, Topmanager beim Hamburger SV, Spitzenkraft im internationalen Sport-Marketing oder preisgekrönter ARD-Experte bei Länderspielen an der Seite von Gerhard Delling — Netzer beherrschte die Klaviatur des großen Ganzen und alle Rollen perfekt. Ein Plan hat nie dahinter gesteckt. Sagt er.
Erfolgreich geriet trotzdem alles. „Als Netzer kam, begann die große Zeit des Hamburger SV, und als er ging, endete sie“, hat Felix Magath, in den „Achtzigern“ Führungsspieler beim HSV, einmal gesagt. Er hat recht: In den acht Manager-Jahren Netzers gewann der HSV drei Meistertitel und holte als Krönung den Europapokal der Landesmeister. Dabei wollte er anfangs nur die Stadionzeitung aufpeppen. Der damalige HSV-Chef Paul Benthien engagierte ihn zusätzlich als Manager.
Doch zur lebenden Legende wurde er in den Jahren zuvor auf dem Platz. In der Bundesliga prägte er einen neuen Stil. In 230 Bundesliga-Spielen für die Gladbacher erzielte Netzer 82 Tore — und lieferte 94 (!) Vorlagen.
Es waren einige wenige Spiele, in denen Netzer den Nimbus des Außergewöhnlichen erwarb. Wie jenes im Londoner Wembley-Stadion 1972, als Deutschland erstmals auf englischem Boden gewann (3:1), Netzers Pässe gestochen kamen und seine raumgreifenden Schritte mit Schuhgröße 47 aus der Tiefe des Raumes die blonde Mähne wehen ließen.
Großartigen Fußball spielte zu dieser Zeit auch die Borussia mit ihrem Star „Jünter“, für die er sich vor seinem Wechsel nach Spanien noch einmal unnachahmlich ins Zeug legte. Netzers Selbsteinwechslung im DFB-Pokalfinale gegen Köln in der Verlängerung („Ich spiel’ dann jetzt“) und das 2:1-Siegtor ein paar Sekunden später im Sommer 1973 sind Fußball-Geschichte. „Vielleicht ist es ja wirklich diese Szene, die bei vielen Anhängern haftengeblieben ist“, hat Günter Netzer dieser Zeitung gesagt.
Netzer hat mit der für ihn typischen Lässigkeit große Popularität erlangt. „Komisch, ich hatte nie einen Plan, bin eigentlich scheu und schüchtern.“ Aber er ist auch intelligent und perfektionistisch; bereit, Risiken einzugehen — und sich auch vor einer anderen, kritischen Sichtweise nicht zu drücken. Netzer war anders als die anderen. Mit 19 wechselte er vom 1. FC Mönchengladbach zum damaligen Regionalligisten Borussia Mönchengladbach.
Nach dem Bundesliga-Aufstieg 1965 verdiente sich der begnadete Techniker früh durch Nebenverdienste ein Zubrot, fuhr rassige Sportwagen, ließ sich mit Stars und Sternchen ablichten und eröffnete zum Leidwesen seines damaligen Trainers Hennes Weisweiler in der Gladbacher Altstadt eine Diskothek, das „Lovers Lane“. Udo Jürgens und Elke Sommer kamen. Schließlich wechselte er als erster deutscher Profi zu Real Madrid.
Bei seinem Heimatclub 1. FC Mönchengladbach, den Blau-Gelben vom Westend, ist Netzer Ehrenmitglied. Der FC hat es Netzer zu verdanken, dass der Club vor fast 30 Jahren sein Vereinsheim errichten konnte. Netzer hatte ein Prominentenspiel am Bökelberg organisiert und dem Amateur-Verein rund 100 000 Mark vom Erlös des Spiels überlassen. Und so hat auch Netzers erster Club von der Erfolgsstory profitiert.