Reus zeigt Spaß: Aber Gladbachs Zukunft ungewiss
Belek (dpa) - Als das erste Gladbacher Training in der Türkei gerade vorbei war, schnappte sich Marco Reus noch einmal den Ball. Er rief seine Kollegen Dante, Oscar Wendt und Roman Neustädter herbei und kickte mit ihnen unter großem Gelächter einfach noch ein bisschen weiter.
Sorgen, dass der Nationalspieler durch seinen bevorstehenden Wechsel nach Dortmund den Spaß an seinem Noch-Verein verlieren könnte, muss sich vorerst also niemand machen.
Und dennoch ist Borussia Mönchengladbach nach dem Bekanntwerden dieses Transfers mit vielen Fragezeichen im Gepäck ins Trainingslager nach Belek gereist. Droht die erfolgreiche Aufbauarbeit nun kaputt zu gehen? Ist ein Ausnahmefußballer wie Reus für die Borussia überhaupt zu ersetzen? Und droht der Verein nach dieser Saison neben seinem besten Spieler auch noch seinen Trainer Lucien Favre zu verlieren?
Der Schweizer wirkte sehr aufgeräumt, aber etwas kurz angebunden, als er im edlen Gladbacher Mannschaftshotel dazu Stellung bezog. Einen Artikel der „Bild“-Zeitung, nach dem er über seinen Weggang im Sommer nachdenke, wies er zurück. „Meine Aussagen dazu habe ich vor Weihnachten in einem ganz anderen Kontext gesagt“, erklärte Favre. Auch die Befürchtung, dass der schmerzhafte Verlust von Reus und Neustädter eine Sogwirkung auf weitere Leistungsträger wie Juan Arango haben könnte, teilt er nicht. „Ich denke nicht“, sagte der Coach. Aber ganz genau könne er das „nicht sagen“.
Kurz zuvor hatte die Borussia die Verpflichtung des Finnen Alexander Ring perfekt gemacht. Der 20-Jährige wird zunächst bis 2013 von HJK Helsinki ausgeliehen und ist nach Tolga Cigerci vom VfL Wolfsburg der zweite Neuzugang in der Winterpause. Beide sind jung, entwicklungsfähig und im Mittelfeld zu Hause, über Ring sagte Favre: „Er kann zentral, rechts oder links spielen. Ich habe ihn in den Spielen von Helsinki gegen Schalke gesehen und gedacht: Der hat was.“
Dennoch sollen Ring und Cigerci eher Neustädter als Reus ersetzen. Ein Nachfolger für den Star ist weder in Sicht noch leicht zu finden - selbst wenn die Gladbacher nach seinem Wechsel 17,1 Millionen Euro mehr auf dem Konto haben. Aus Favres Sicht drängen sich dazu noch Erinnerungen an seine Zeit bei Hertha BSC auf. Da verließen nach einer überraschend starken Saison Andrej Woronin und Joe Simunic den Verein - nur drei Monate später war der Trainer seinen Job los.
Und so ist bei der Borussia aus einer vermeintlich strahlenden Zukunft binnen weniger Tage eine ungewisse geworden. Auch die knapp 200 nach Belek mitgereisten Fans wussten beim Training nicht so recht, wie sie Reus begegnen sollten. Keiner pfiff, keiner schimpfte, aber auch keiner zeigte so etwas wie eine verständnisvolle Reaktion.
„Klar, das war nicht einfach zu verdauen. Aber wir müssen jetzt positiv denken“, sagte Favre. Reus selbst sagt vorerst nichts mehr in der Öffentlichkeit, verhält sich intern laut Favre aber „wie immer. Er macht einen sehr guten Eindruck, ist fit und hat Spaß, zu trainieren. Marco und auch Roman Neustädter werden weiter 100 Prozent geben und eine super Rückrunde für Gladbach spielen.“
Für das positive Denken ist bei der Borussia ansonsten der Sportdirektor zuständig. Es werde wieder „neue Spieler geben, die in den Vordergrund rücken“, sagte Max Eberl. Der 38-Jährige denkt dabei an Patrick Herrmann, „der am Anfang noch auf der Bank saß und jetzt der Newcomer der Saison ist“. Er bräuchte sich aber auch bloß an Reus' eigene Geschichte im Verein zu erinnern. Der heute 22-Jährige kam 2009 als weitgehend namenloser Nachfolger von Marco Marin nach Gladbach. Und während dessen Karriere bei Werder Bremen seitdem stagniert, ist die von Reus geradezu explodiert. „Jede Entscheidung, auch eine negative, bietet eine neue Chance“, meinte Eberl.