Die 60er Jahre: „Ausgemerkelt!“ - Meister steigt ab
Berlin (dpa) - Der 7. Juni 1969 ist im Süden Deutschlands ein grauer, verregneter Tag. Das triste Wetter liefert die passende Kulisse für das bis dahin dunkelste Kapitel in der ruhmreichen Geschichte des 1. FC Nürnberg.
Als Schiedsrichter Walter Horstmann die Partie im Müngersdorfer Stadion gegen 17.15 Uhr abpfeift, ist nicht nur die 0:3-Niederlage des „Clubs“ beim 1. FC Köln besiegelt, sondern auch die größte Fußball-Sensation in der noch jungen Geschichte der Bundesliga: Der deutsche Meister ist abgestiegen.
Fassungslos, teils hemmungslos weinend schleichen die Spieler in Rot und Schwarz vom Rasen. Der Schock sitzt tief - hat man doch erst zwölf Monate zuvor in einem Autokorso durch die Nürnberger Altstadt den Gewinn der neunten Meisterschaft gefeiert. „Es ist wie ein böser Traum“, gibt „Club“-Legende Max Morlock seine Empfindungen wieder und spricht damit den Fans aus dem Herzen. Schnell macht der Begriff „ausgemerkelt“ die Runde. Meistermacher Max Merkel, nach dem Titel 1968 auf Händen getragen, lässt erst Leistungsträger wie Franz Brungs und Gustl Starek ziehen und kann dann die Talfahrt des Teams nicht mehr stoppen. Acht Runden vor Saisonende muss er gehen - zu spät.
„Dieser Sturz kam nicht von ungefähr. Das Gravierendste war die Demontierung der Meister-Elf“, erinnert sich „Club“-Abwehrrecke Ferdinand Wenauer später an das Abstiegsfinale der Saison 1968/69, in dem drei Runden vor Schluss noch die halbe Liga um den Klassenerhalt zittert. Ironie des Schicksals: Wären die Franken am 34. Spieltag in Köln als Sieger vom Platz gegangen, hätte statt ihrer der Premierenmeister aus der Domstadt die Bundesliga verlassen müssen.
Der 1. FC Köln ist mit seinem Start-Ziel-Sieg fünf Jahre zuvor ein logischer Titelträger gewesen. Der Meister von 1962 und Vize von 1963 verfügt als einer der ersten Clubs beim Bundesliga-Start über professionelle Strukturen. Doch das Fußball-Hoch am Rhein hält nicht lange an, schon in der zweiten Spielzeit werden die „Geißböcke“ von Werder Bremens Defensivstrategen vom Thron gestoßen.
Als die Liga laufen lernt, sind in Hans Schäfer, Helmut Rahn und Morlock noch drei Weltmeister von 1954 am Ball, das Fernsehen ist dagegen anders als heute nicht überall präsent. So gibt es vom ersten Tor der Bundesliga, das der Dortmunder Timo Konietzka am 24. August 1963 nach nur 58 Sekunden in Bremen erzielt, kein Bilddokument. Der erste Skandal lässt nicht lange auf sich warten: Hertha BSC wird 1965 ausgeschlossen, weil der Verein Handgelder an Spieler gezahlt hat. Dafür rückt Tasmania 1900 nach - die Hauptstadt soll, so der Wille des DFB, weiter in der Liga vertreten sein.
Die Berliner sind in dieser Rolle völlig überfordert und stellen Negativ-Rekorde auf, die noch heute Gültigkeit besitzen: Wenigste Siege (2), meiste Gegentore (108), meiste Niederlagen (28). Sportlich liefern sich Borussia Dortmund und der TSV 1860 München in der Spielzeit 1965/66 ein Kopf-an-Kopf-Rennen, das Max Merkels „Löwen“ für sich entscheiden. Dafür stellt der BVB den besten Scorer: Lothar Emmerich trifft 31 Mal ins Schwarze und damit einmal mehr als der erste Bundesliga-Torschützenkönig Uwe Seeler vom Hamburger SV.
Die nächsten beiden Meister hatte vor Saisonbeginn überhaupt niemand auf der Rechnung. Den Minimalisten von Eintracht Braunschweig genügen 1967 magere 49 Tore, um sich zum ersten und einzigen Mal die nationale Krone aufzusetzen. Gleich sieben Partien der von Helmuth Johannsen auf Defensive getrimmten Niedersachsen enden torlos. Ein Jahr später werden viele Namen als Titelkandidaten gehandelt, der des 1. FC Nürnberg ist nicht darunter.
Doch unter Merkels Regie vollzieht der „Club“ einen Wandel: Der altfränkische Stil ist passé, die Meisterschale Lohn für erfrischenden Angriffsfußball. Der Anfang Dezember 1967 mit 7:3 bezwungene FC Bayern kann ein Lied davon singen - dennoch ist die Wachablösung nicht mehr weit. In der sechsten Saison stehen die Münchner ganz oben und läuten mit ihrem ersten Bundesliga-Titel eine Jahrzehnte währende Dominanz ein.
Die Krönung der Elf von Trainer Branko Zebec erfolgt just an dem Tag, an dem 170 Kilometer weiter nördlich die Erstliga-Lichter ausgehen. Für den „Club“ kommen die Gegner von nun an aus Heilbronn, Reutlingen und Ingolstadt. Schier endlose neun Jahre vergehen, ehe der Rekordmeister 1978 wieder auf die Bundesliga-Bühne zurückkehrt.