Experte: Nach Enke-Tod ist Depression kein Tabu
Aachen (dpa) - Nach dem Selbstmord von Nationaltorwart Robert Enke geht der Spitzensport etwas selbstverständlicher mit Depression um. Das meint der Aachener Psychiater Professor Frank Schneider, der ein bundesweites Netzwerk für psychisch kranke Spitzensportler koordiniert.
Der Torhüter von Hannover 96 und der Nationalelf hatte an Depressionen gelitten und am 10. November 2009 Suizid begangen.
Hat der Selbstmord von Robert Enke etwas bewirkt?
Frank Schneider: „Im Profisport ist die Bereitschaft, Hilfe in Anspruch zu nehmen, niederschwelliger geworden. Wir haben ganz viele Anfragen von Leistungssportlern, die sich vor Enke nicht gemeldet hätten. Viele sind weiterhin scheu. Scheu in dem Sinne wie es jeder Oberbürgermeister wäre, jeder Medienstar oder Fernsehansager, wenn die in eine Behandlung reingehen. Da unterscheiden sich Leistungssportler kaum. Sie sind vielleicht ein bisschen anders, weil sie unerfahrener sind. Das sind ja oft ganz junge Leute im Profifußball. Die haben natürlich noch nicht die Lebenserfahrung.“
Wie sieht das in den Vereinen aus?
Schneider: „Das ist das Beispiel von Markus Miller bei Hannover 96. Vor einem Jahr wurde bei einer Pressekonferenz gesagt: Er hat eine Depression. Der ist jetzt eine Weile weg. Nach drei Monaten kam er wieder. Da gab es wieder eine Pressekonferenz. Da wurde gesagt: Miller ist gesund, der spielt jetzt wieder. Das hat er auch getan. Das war ein famoses Vorgehen. Ein anderes Beispiel ist Andreas Biermann, der in Hamburg gespielt hat. Der hat gesagt: Ich bin depressiv, ich kann nicht mehr. Er sagt, wenn er diesen Schritt nicht gemacht hätte, hätte er noch einen Vertrag als Bundesliga-Profi. Er hat es gemacht und hat jetzt keinen Vertrag mehr.“
Also doch alles beim alten?
Schneider: „Wir haben den Eindruck, dass die Akzeptanz und die Aufmerksamkeit in den letzten zwei, drei Jahren höher geworden sind. Das betrifft die Spieler, die Angehörigen - manchmal ruft die Ehefrau oder die Freundin zuerst an. Wir haben aber auch Anfragen von Spielerberatern, von Präsidenten oder Trainern. Das betrifft nicht nur den Fußball, auch Sportarten wie Schwimmen oder Basketball.“
Ist ein Spitzensportler ein Patient wie jeder andere?
Schneider: „Das zeitliche Management ist anders. Wenn sich jemand vier Wochen vor der Olympiade befindet - wie ein Sportler vor London - dann kann man den nicht so einbestellen. Dann müssen wir Behandler uns an den Trainingsplan halten. Dann gibt es die Befürchtung wegen möglichen Dopings. Das wird aber überschätzt, weil Antidepressiva und die meisten anderen relevanten Medikamente nicht auf der Dopingliste stehen. Es ist auch völlig problemlos, Ausnahmegenehmigungen zu erhalten.“
Haben die Betroffenen Angst, dass ihre Krankheit öffentlich wird?
Schneider: „Ich glaube, das wird überschätzt. Jemand der bekannt ist, der kommt manchmal lieber in der Dunkelheit. Wenn die dann mal eine Weile da sind, vielleicht auch stationär, ist das für sie so selbstverständlich und sie sehen andere, die das gleiche Probleme haben, die auch in der Öffentlichkeit stehen.“
Haben Sportler Angst um ihr Image?
Schneider: „Das Problem ist, die haben ein ganz kleines Zeitfenster, wo sie ganz viel Geld verdienen können. Die wollen natürlich in den paar Jahren den Eindruck erwecken, dass sie die Fittesten sind und dass sie am meisten Geld verdienen können. Und wenn sie eine psychische Krankheit haben, denken viele und auch die Berater: Jeder Makel ist schlecht. Das ist schade.“