HSV stilisiert klare Niederlage zum Sieg
Hamburg (dpa) - Abstiegskandidat Hamburger SV hatte gerade mit 1:4 gegen Bayern München verloren, da hallte ein tausendfacher Jubelschrei durch das Stadion. Dann ein kurzer Moment der Stille. Plötzlich folgte erneut ein Freudenausbruch, noch lauter und anhaltender als der erste.
Auf den Videowänden leuchteten die Ergebnisse der Konkurrenten auf: Nürnberg 0:2, Braunschweig 0:1. „Niemals 2. Liga! Niemals, niemals!“, skandierten die Fans und tanzten auf den Rängen. Das 1:4 war vergessen.
Heiko Westermann fasste die Situation treffend zusammen: „Wir müssen uns bei Augsburg und Hannover bedanken“, sagte der Verteidiger erleichtert und schickte Grüße an die Bezwinger der Konkurrenten. Es ist schon verblüffend: Der HSV verlor zum vierten Mal in Serie und ist immer noch Tabellen-16., ist immer noch Relegationsteilnehmer und damit potenzieller Erstligist. „Das geht unter die Haut“, gestand Westermann. Schon während der Partie hatte er mit Rechtsverteidiger Dennis Diekmeier den 57 000 Zuschauern wegen ihrer überbordenden Unterstützung applaudiert.
Die Fans verbanden ihre Lobgesänge mit einer Forderung. „Auswärtssieg! Auswärtssieg!“, riefen sie und ernteten bei den Profis Zustimmung. Beim FSV Mainz 05 am nächsten Samstag wollen die Norddeutschen die Saisonverlängerung am 15. und 18. Mai gegen den Dritten der 2. Liga perfekt machen. „Mit so einem Auftritt wird mir nicht angst und bange. Den hätten wir mal ein paar Wochen früher hinlegen sollen“, befand Westermann. In der Tat kämpfte der HSV in der ersten Halbzeit so leidenschaftlich wie seit vielen Wochen nicht und bot den zunächst verunsicherten Bayern Paroli.
„Wir haben eine sehr gute erste Halbzeit gespielt“, bestätigte Trainer Mirko Slomka. „Wir haben gezeigt, dass wir einen unbändigen Willen haben.“ Warum, fragt sich der Beobachter, hat sein Team den nicht immer gezeigt? „Die Mannschaft“, erklärte Slomka, „hat in dieser Saison zwei Gesichter. Das müssen wir ändern.“ Nach der Pause habe „Bayern eine breitere und wir eine hängende Brust“ gehabt.
Der in dieser Saison allzu oft desolate HSV erfreut sich an den kleinen Dingen, die eigentlich selbstverständlich sein müssten. Wenn schon die Qualität fehlt, geht es nicht ohne Brechstange. Sollte das Team absteigen, würde der Verein nicht auseinanderfallen, behauptete Vereinsvorsitzender Carl Jarchow im ZDF-„Sportstudio“: „Es geht nicht um die Existenz.“ Allerdings müsse der Gehaltsetat für die Profis dann „nahezu halbiert“ werden. Er selber werde sich der Verantwortung stellen, betonte Jarchow und verteidigte Sportchef Oliver Kreuzer: „Man tut ihm unrecht, wenn man ihm das in die Schuhe schiebt.“
Die Hamburger Glückseligkeit über die geschenkte Chance auf den Klassenverbleib konnte Ex-Torhüter Frank Rost nicht verstehen. „Mich enttäuscht, dass man solch eine Fehleinschätzung über die Mannschaft abgibt und Spieler reden lässt, die ein 1:4 gegen die Bayern glorifizieren“, zeterte der als unbarmherziger Kritiker bekannte ehemalige HSV-Profi im TV-Sender Sky.
Nicht restlos zufrieden waren die Bayern. Zwei Tore von Mario Götze, je eines von Claudio Pizarro und Thomas Müller ließen Trainer Pep Guardiola aber aufatmen. „In diesem Verein musst du immer gewinnen. Wenn du nicht gewinnst jede Woche, jede Saison, ist der Trainer ein Risiko“, meinte der Spanier und gestand: „Nach der Niederlage in der Champions League war es nicht einfach.“ Vor dem Pokalfinale am 17. Mai gegen Dortmund will er beim Bundesligaausklang gegen den VfB Stuttgart eine Leistungssteigerung sehen. Schließlich wünschte er dem HSV viel Glück. Arjen Robben schloss sich an: „Ein Verein wie der HSV gehört in die Bundesliga. Das ist ein superschöner Verein.“