Hannover 96 will mehr Stimmung und Nachwuchs

Aber nach dem Abstiegskampf der vergangenen Saison liegen die Europapokal-Träume vorerst auf Eis.

Für Fortuna-Fans ein ungewohntes Bild. Ex-Stürmer Charlison Benschop stürmt jetzt für Hannover.

Foto: Tomasz Koryszko


Hannover. „„96 — Alte Liebe“? Anders als in der Vereinshymne besungen, war von einer Liebesbeziehung zwischen Verein und Anhängerschaft zuletzt nichts zu spüren. Erst zum drittletzten Heimspiel verließ die organisierte Fanszene die Schmollecke und machte wieder Stimmung im Stadion. Zuvor hatte die Mannschaft in der eigenen Arena in eisiger Atmosphäre gefühlt 14 Auswärtspartien absolvieren müssen, was sich zunehmend auf die Spielfreude auswirkte. Inzwischen herrscht zwischen Clubführung und Ultras ein Burgfrieden — den ein einziger Pyro-Zwischenfall ins Wanken bringen könnte.

Kind muss weg“? Für die Ultras, die außer dieser enervierenden Stakkato-Sentenz fast die ganze Saison über verstummt waren, ist der Antwort klar: Sie nennen Martin Kind, Vereinspräsident und Geschäftsführer der Hannover 96 GmbH & Co. KGaA, voller Verachtung in einem Atemzug mit Hoffenheim-Mäzen Dietmar Hopp und Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz. Sie verübeln dem Unternehmer, dass er eher wenig von Traditionspflege und Fan-Mitspracherechten hält und sich dafür umso mehr für effektive Wertschöpfungsketten begeistert. Der 71-Jährige steht für den Fußball als Big Business — aber eben auch für die bemerkenswerte Wandlung von einem chronisch klammen Provinzclub mit dem Hang zum Halbseidenen zu einem seriösen, etablierten Erstligisten mit gut geführten Büchern und stabilen finanziellen Rücklagen.

„Nie mehr Zweite Liga“? Zwei Jahre in Folge haben die „Roten“ jetzt gegen den Abstieg gekämpft. Besonders bitter: Nach einer starken Vorrunde wähnten sie sich in der Vorsaison bereits wieder auf Europa-Kurs. Doch trotz oftmals ordentlicher Leistungen folgte eine nahezu beispiellose Negativserie aus 16 sieglosen Partien. Erst am letzten Spieltag rettete sich 96 auf Platz 13. Der in höchster Not als Feuerwehrmann geholte Michael Frontzeck soll nun dauerhaft dafür sorgen, dass Hannover nicht erneut in die Bredouille gerät. Eine Saison im ruhigen Fahrwasser des Tabellen-Mittelfelds erscheint auch realistisch. Allerdings muss das Team den Verlust von Leitwolf Lars Stindl kompensieren, der dank Ausstiegsklausel als Drei-Millionen-Schnäppchen nach Gladbach gewechselt ist.

„Europapokal, Vierschanzentournee“? Die Euphorie der beiden Euroleague-Spielzeiten ist verflogen, und auch die Ansprüche des Clubchefs sind gesunken. Kind spricht von einer Umbruchsituation und hat als Saisonziel „Platz acht bis zwölf“ ausgegeben — sicherlich machbar für eine Mannschaft, die in der kommenden Saison mit Neuzugängen, die im Schnitt kaum 23 Jahre alt sind, zu den jüngsten und unerfahrensten, dafür aber auch zu den schnellsten Teams der Bundesliga gehören wird. Da ist der türkische Mittelstürmer Mevlüt Erdinç, den Manager Dirk Dufner als Joselu-Ersatz aus Frankreich geholt hat, mit seinen 28 Jahren schon fast ein Veteran.

„Jedes Jahr ein Kind, jedes Jahr ein Kind — bis es 96 sind“? Zwar keine knappe Hundertschaft Hannoveraner Neubürger, dafür aber viele talentierte Jungkicker soll das 18 Millionen Euro teure Nachwuchs-Leistungszentrum hervorbringen, für das in diesem Monat der erste Spaten gestochen wurde. Denn auch wenn Martin Kind momentan tiefstapelt: Mittelfristig möchte er 96 in die Sphären manövrieren, in denen sich zurzeit Clubs wie Gladbach oder Schalke bewegen. Die Kaderschmiede, die dem Profi-Team künftig pro Jahr mindestens eine bundesligataugliche Nachwuchskraft zuliefern soll, ist nur ein Mosaikstein in diesen Plänen. Die im Übrigen durchaus umsetzbar sind — sofern 96 nicht doch noch absteigt.


Zugänge: Uffe Bech (Nordsjaelland/2 Mio. Euro), Charlison Benschop (Düsseldorf, 1,5 Mio. Euro), Mevlüt Erdinç (AS St.-Etienne/3,3 Mio. Euro), Felix Klaus (Freiburg/3 Mio. Euro), Samuel Radlinger (Nürnberg/war ausgeliehen), Vladimir Rankovic (Aue/war ausgeliehen), Oliver Sorg (Freiburg/3,5 Mio. Euro), Valmir Sulejmani (Union Berlin/ war ausgeliehen), Philipp Tschauner (St. Pauli, ablösefrei).

Abgänge: Robert Almer (Austria Wien, ablösefrei), Leonardo Bittencourt (Köln/2,5 Mio. Euro), Jimmy Briand (Ziel unbekannt), Markus Miller (Karriereende), Joselu Mato (Stoke City/8 Mio. Euro), Christian Pander (Ziel unbekannt), João Pereira (Sporting Lissabon/ablösefrei), Jan Schlaudraff (Ziel unbekannt), Marius Stankevicius (Ziel unbekannt), Lars Stindl (Mönchengladbach/3 Mio. Euro), Didier Ya Konan (Düsseldorf/ablösefrei).