Mainz im Umbruch: Abschied von Boy-Band und Stadion

Mainz (dpa) - Freudetrunken marschierte der FSV Mainz 05 in eine neue Ära. Den Abschied vom Bruchwegstadion nach 74 Jahren veredelten die Rheinhessen beim 2:1 (0:1) gegen Absteiger FC St. Pauli mit dem 18. Sieg dieser Spielzeit.

Stunden später wurden Mannschaft und Trainer von 10 000 Fans auf dem Gutenbergplatz gefeiert. „Ich stehe hier zum ersten Mal und das voll Stolz und sage euch nur ein tiefes, tiefes Dankeschön“, erklärte der vor Rührung heisere Coach Thomas Tuchel auf dem Theaterbalkon. Die beste Saison der Vereinsgeschichte bescherte den Mainzern 58 Punkte, Platz fünf und zum Umzug in die neue Coface Arena internationalen Fußball - aber auch einen Umbruch, denn in André Schürrle und Lewis Holtby verlieren die 05er zwei herausragende Talente. Die Boy Group wird auseinandergerissen.

Angst vor den in die Höhe schnellenden Erwartungen kennen die Mainzer trotzdem nicht. „Wenn wir uns fürchten würden, hätten wir Zehnter werden sollen“, sagte Manager Christian Heidel, der sicher ist, den Verlust an Klasse adäquat ersetzen zu können. Heidel sieht sich als Motivator und Mahner. „Wir dürfen nie vergessen, wo dieser Verein hergekommen ist. Wir haben ein rasantes Tempo vorgelegt“, erklärte der 05-Manager, dem früh klar war, dass der Club einen Spitzenplatz belegen kann: „Intern waren wir so selbstbewusst, zu sagen: Wir packen das.“

Der Saisonverlauf hat ihn bestätigt: Als einziges Team stand der FSV vom ersten bis zum letzten Spieltag unter den besten Fünf der Fußball-Bundesliga. Beim letzten Auftritt vor 20 300 Zuschauern im altehrwürdigen Bruchwegstadion drehten Schürrle (58., Foulelfmeter) und Sami Allagui (82) die Hamburger Führung von Matthias Lehmann (42.) und setzten damit das letzte i-Tüpfelchen auf eine glorreiche Saison.

Als Garant für eine kontinuierliche Weiterentwicklung des Teams steht Tuchel. „Was dieser Junge in diesen zwei Jahren in Mainz geleistet hat, ist überragend“, rief Heidel den Anhängern zu. Der mit 37 Jahren immer noch jüngste Coach eines Bundesligisten hat es verstanden, die Vorgaben von Dortmunds Meistertrainer Jürgen Klopp zu nutzen und mit seiner Handschrift zu entwickeln. „Die Mannschaft hat Überragendes geleistet. Wir sind immer bei uns geblieben. Ich bin richtig stolz“, bekannte Tuchel.

Schürrle und Holtby fällt der Abschied schwer. Für die 20-Jährigen, die in Mainz zu Nationalspielern reiften, ist ihr Coach der Motor ihrer Entwicklung. „Alles was ich kann, habe ich hier gelernt“, meinte Schürrle. „Mainz ist für Spieler wie mich eine Super-Adresse“, sparte auch Holtby nicht mit Lob. „Sportlich ist ihr Weggang ein großer Verlust. Wir müssen neue Talente finden und auf ihre Stufe heben. Mir ist nicht bange“, sagte Tuchel.

Durch den Sieg von Hannover gegen Nürnberg verpassten die Mainzer den Sprung auf Platz vier und haben dadurch eine Woche weniger Urlaub. Vom 20. Juni an trimmt Tuchel die 05er auf die erste Saison mit Dreifach-Belastung in Liga, DFB-Pokal und Europa League. Der „Liga Total Cup“ am 19. und 20. Juli mit Meister Dortmund, Bayern München und dem Hamburger SV ist Generalprobe für den ersten internationalen Auftritt am 28. Juli in der Europa-League-Qualifikation.

Für die Kiez-Kicker geht es in der zweiten Liag weiter. Mit großem Beifall wurden die Gäste verabschiedet. „Als Auswärtsteam so gefeiert zu werden, dass ist schon außergewöhnlich. Die Niederlage ist trotzdem ärgerlich“, meinte St. Paulis Marius Ebbers zu den Sprechchören der Mainzer Anhänger nach Spielschluss. Sein Team hatte sich trotz des zwölften Spiels ohne Sieg rehabilitiert für die Schmach vom 1:8 gegen Bayern München. „Das war heute ein anderes St. Pauli. Wir haben gezeigt, dass wir Fußball spielen können“, sagte Torschütze Lehmann. Zu einem Happy End für den scheidenden Trainer Holger Stanislawski hat es trotzdem nicht gereicht.