Frust oder Trauer waren Vincent Kompany nach dem geplatzten Endspiel-Traum keineswegs anzumerken. 35 Stunden nach dem Champions-League-Tiefschlag des FC Bayern in Mailand verkörperte der Trainer die Aufbruchsstimmung, die er auf dem Weg zum Titel-Minimalziel seiner Münchner Premierensaison jetzt von seinen Stars sehen will. Er selbst sei „von Natur aus sehr motiviert, sehr hungrig. Ich brauche nicht so viel, dass ich am nächsten Tag wieder mit voller Energie einsteige“, verkündete der 39-Jährige.
Er habe nicht „das Talent“, sich runterziehen zu lassen. „Man muss damit umgehen wie mit jedem Rückschlag im Leben: Die Vergangenheit kannst du nicht ändern“, sagte Kompany vor dem Spiel am Samstag (15.30 Uhr/Sky) beim 1. FC Heidenheim, wo es vor einem Jahr ein wildes 2:3 gegeben hatte.
Emotionaler Balkon-Abschied für Müller?
„Tief durchatmen und dann geht's weiter“, gab der scheidende Thomas Müller mit der Erfahrung von über anderthalb Jahrzehnten Profi-Fußball nach dem verklungenen ersten Schmerz den Weg für den Liga-Endspurt vor.
Mit der verpassten märchenhaften Krönung bei der Champions-League-Hymne in seinem Heim-Stadion wird der Kult-Kicker, der maximal noch zwölfmal für seinen Herzensclub auflaufen wird, lange hadern müssen. Darf er zum emotionalen Abschied wenigstens zum 13. und letzten Mal auf dem Rathausbalkon vor Tausenden Fans jubeln, also mit der Meisterschale wieder dahoam?
„Wir haben ein großes Ziel in den nächsten Wochen: Den Titel in der Bundesliga zurückholen“, erklärte Sportdirektor Christoph Freund. Der 47-Jährige sah am Karfreitag bei der Pressekonferenz an der Seite von Kompany noch mächtig niedergeschlagen aus.
Komfortabler Liga-Vorsprung
Gar nicht auszudenken, wie groß die Bayern-Tristesse werden sollte, wenn der deutsche Rekordmeister, der weiter auf Kapitän Manuel Neuer verzichten muss, den Sechs-Punkte-Vorsprung auf Titelverteidiger Bayer Leverkusen verspielen sollte. Dann würde es auch für Kompany als im x-ten Versuch gefundener Nachfolger von Thomas Tuchel ungemütlich werden.
Seit dem letzten Königsklassen-Triumph 2020 mit Ex-Coach Hansi Flick, der nun mit Barcelona auf Inter trifft, sind die Bayern viermal im Viertelfinale und einmal im Halbfinale (2024) ausgeschieden. In dieser Saison dürfen sie zwar Ausfälle als einen Grund anführen, aber der Gesamtauftritt mit acht Siegen, zwei Unentschieden und vier teilweise heftigen Niederlagen in Europa sind nicht ausreichend für ein Spitzenteam mit höchsten Ansprüchen.
Sportdirektor versichert: Titel werden kommen
„Wir sind der FC Bayern München, jeder erwartet Titel - auch wir selber“, sagte Freund. Entscheidend sei, wie man intern mit Kritik umgehe und weiterarbeite. „Dann werden auch die Titel kommen. Da bin ich einfach total überzeugt.“ Neben der Meisterschaft ist in dieser Saison noch der Gewinn der nach verpassten Champions-League-Millionen auch finanziell wichtigen XXL-Club-WM drin.
Für das größte Ziel vom Königsklassen-Endspiel in der Allianz Arena ist das kein gleichwertiger Ersatz. Dass Sportvorstand Max Eberl in der schmerzvollen Mailänder Nacht dennoch von „einer für mich guten Champions-League-Saison“ sprach, irritierte die Zuhörer. Im Kreise etlicher Schönredner war Joshua Kimmich wieder derjenige, der nach der zweiten verspielten Titelchance kritische Worte fand.
Kompany: Intern sprechen wir Klartext
„Wenn wir nicht die Meisterschaft holen, ist es wieder eine schlechte Saison“, sagte der 30-Jährige nach dem 2:2 im Giuseppe-Meazza-Stadion. Das maßgeblich von Innenverteidiger Minjae Kim verschuldete Remis war nicht genug, um nach dem 1:2 im Hinspiel doch noch weiterzukommen.
Kompany versicherte, dass man intern Klartext reden würde. Aber das ginge eben nur, wenn man die Profis nach außen schütze. Den öffentlichen Wechsel zwischen „Hype und Drama“ möge er nicht. „Am Ende einer Saison müssen wir mit jedem einzelnen Spieler ehrliche Gespräche haben“, sagte der Belgier. „Aber jetzt in diesem Moment gibt es nur Vollgas und Konzentration auf unsere eigenen Leistungen.“
Wegweisende Personalien
Bei den „ehrlichen“ Gesprächen zur Saisonanalyse steht aber auch die Führungsetage in der Pflicht, denn die Muster beim Scheitern wiederholen sich. Es müssen Antworten auf große Personalfragen her. Wer muss neben Müller noch gehen? Kommt Leverkusens Florian Wirtz? Genügt die Abwehr höchsten Ansprüchen? Fehlt ein zweiter Stürmer neben Harry Kane?
„Dass es alle immer besser wissen - im Endeffekt ist es so im Fußball. Es zählen die Ergebnisse“, sagte Freund. Ob die Nacht von San Siro ein Startpunkt für große Erfolge sein könne, „werden wir sehen“.
© dpa-infocom, dpa:250418-930-450087/1