Nürnbergs Debakel bringt Wiesinger in Bredouille
Nürnberg (dpa) - Am Tag nach dem kollektiven Frusterlebnis herrschte beim 1. FC Nürnberg gebannte Stille. Die Vereinsoberen fuhren wenige Stunden nach dem 0:5-Heimdebakel gegen den Hamburger SV am Vereinsgelände vor und verschwanden hinter verschlossenen Türen.
Dort war neben der desolaten sportlichen Lage die Zukunft von Trainer Michael Wiesinger erstes Gesprächsthema. Der 40-Jährige muss um seinen Job bangen, selbst vom nach außen stets loyalen Sportchef Martin Bader erhält er keine Rückendeckung mehr.
„Das sind tiefe Wunden. Wir werden immer wieder Lösungen finden, auch diesmal werden wir eine Lösung finden“, kommentierte ein sichtlich geschockter Bader nach der höchsten Heimpleite seit Oktober 1998 (1:5 gegen 1860 München). Grundsätzlich sei es zwar immer die Aufgabe von ihm, einem leitenden Angestellten den Rücken zu stärken, erklärte Bader. Doch nach so einem Debakel wolle und könne er das diesmal ausnahmsweise nicht tun. „Da ist etwas passiert, was uns wirklich Bauchschmerzen bereitet“, berichtete der FCN-Boss.
Noch für Montag war eine Sitzung von Vorstand und Aufsichtsrat bei den Franken angesetzt, nach dpa-Informationen wollten sich die Vereinschefs um Bader am späten Nachmittag zusammensetzen. Die Aufarbeitung des HSV-Debakels sei „unter dem frischen Eindruck vom Sonntag ein Hauptpunkt“ der Debatte, kündigte eine Sprecherin an.
Erst vor rund zehn Monaten hatte Bader Wiesinger nach dem Blitz-Abschied von Dieter Hecking nach Wolfsburg vom Amateur- zum Proficoach befördert. Im Frühjahr verliefen schon die Verhandlungen über eine Vertragsverlängerung zäh - auch weil Bader nachgesagt wurde, mit Trainer-Nobody Wiesinger nicht zwingend ein längeres Engagement anzustreben. Da der frühere Bayern-Profi aber in der vergangenen Rückrunde auch auf viele sportliche Erfolge verweisen konnte, hatte die Zusammenarbeit Bestand - zumindest bis jetzt.
Doch mit der Demontage vom Sonntag dreht sich die Stimmung gegen Wiesinger - nicht nur in den Gremien, auch bei den Zuschauern. Nach dem 0:3 Mitte der zweiten Halbzeit waren von den Rängen schon die ersten „Wiesinger raus“-Rufe zu hören; nach dem 0:5 verabschiedete sich ein großer Teil der Zuschauer vorzeitig aus dem Stadion. Wiesinger musste bei den Fans ausbaden, was seine Profis zuvor auf dem Platz verbockt hatten. „Eine Katastrophe. Wir haben alles falsch gemacht, was man in der Bundesliga falsch machen kann. Das war unerklärlich und unfassbar“, schilderte Verteidiger Per Nilsson.
Der Schwede stellte sich als einer der wenigen überhaupt den Fragen der Journalisten. Kapitän Raphael Schäfer, sonst ein gewohnt kritischer Stammgast in der Mixed Zone, stapfte mit deprimierter Miene kopfschüttelnd vorbei. Josip Drmic, der im veränderten System mit Tomas Pekhart eine gänzlich wirkungslose Doppelspitze bildete, riet zur schonungslosen Analyse: „Jetzt am Schluss muss man viele Fragen stellen: Warum, wieso, weshalb?“, meinte der Schweizer und schob ratlos hinterher: „Wir wissen's selber nicht.“
Wiesinger muss sich jetzt um seinen Job sorgen, was er auch selber genau weiß. „Ich hinterfrage mich auch selbst. So ein 0:5 ist brutal, da hast du wenig Argumente als Trainer“, sagte er. Die heftigen Fan-Reaktionen „gehen einem nahe. Aber es ist mein Job, das auszuhalten“, erklärte er. Früher war Wiesinger bereits Profi in Nürnberg, seit 2011 ist er im Trainerteam der Franken. „Ich lebe den Club“, behauptete er von sich selbst, „ich mache die Dinge, die ich beeinflussen kann“. Jetzt hat er wenig Einfluss auf die Entscheidung.