Riskantes Spiel mit van Gaal - Nachfolger im Sommer
München (dpa) - Louis van Gaal darf Trainer beim FC Bayern München bleiben - spätestens am Saisonende aber wird er doch zum „Fliegenden Holländer“. Der entthronte deutsche Fußball-Meister geht im Kampf um einen Champions-League-Platz hohes Risiko.
Die Bosse um Karl-Heinz Rummenigge entschieden sich trotz einer dramatischen Talfahrt in der Bundesliga gegen einen sofortigen Rauswurf des 59-Jährigen, die vorzeitige Trennung folgt erst am Saisonende. „Wir haben eine schwierige Situation zu meistern. Wir sind uns trotz des Faktes, dass sich in ein paar Monaten die Wege trennen werden, darüber einig, dass wir in dieser sportlich schwierigen Situation die Kräfte gemeinsam einzusetzen haben, um die Mindestziele zu erreichen“, verkündete Rummenigge bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz auf dem Vereinsgelände. Nach seiner knapp vierminütigen Erklärung trat er ab - Nachfragen ließ er nicht zu.
Das Ende der kurzen und vom Double-Gewinn 2010 gekrönten Ära van Gaals in München wurde ebenfalls terminiert: Der Vorstand einigte sich mit dem eigenwilligen Chefcoach am Vormittag in einem laut Rummenigge „sehr ausführlichen Gespräch“ in einem Münchner Hotel „in beiderseitigem Einvernehmen“ auf eine vorzeitige Trennung.
Der erst im vergangenen Herbst bis zum 30. Juni 2012 verlängerte Vertrag wird dann aufgelöst - van Gaal wird so zu einer sogenannten „lahmen Ente“ mit fragwürdigem Rückhalt von oben. Als Grund für die Vertragsauflösung nannte Rummenigge vielsagend eine „unterschiedliche Auffassung über die strategische Ausrichtung des Clubs“.
Ein noch unbekannter Nachfolger wird im Juli das Zepter beim prominentesten deutschen Club übernehmen. Namhafte Kandidaten werden bereits gehandelt, angefangen bei Jupp Heynckes, der schon zweimal in München tätig war und seinen auslaufenden Vertrag bei Bayer Leverkusen bislang nicht verlängert hat. DFB-Sportdirektor Matthias Sammer gilt als weitere prominente nationale Lösung. Der Ex-Nationalspieler, 2002 Meistertrainer in Dortmund, fuhr bereits am Montagnachmittag überraschend an der Säbener Straße vor, aber nur, um seinen beim FC Bayern spielenden Sohn abzusetzen.
Als internationales Schwergewicht kommt der Bayern-intern seit Jahren hoch geschätzte Niederländer Guus Hiddink ins Spiel, derzeit Coach der türkischen Nationalmannschaft. Auch der ehemalige Bayern-Profi und frühere HSV-Trainer Martin Jol könnte seinem Landsmann van Gaal nachfolgen.
Aktuell richtet sich der Fokus aber noch auf van Gaal und die Bewältigung der Münchner Krisensituation. Das Festhalten an dem Niederländer kam unerwartet und ist mutig, zu bedrohlich erschien die Lage nach dem „absoluten Tiefpunkt der Saison“, wie Rummenigge das jüngste Desaster in Hannover bewertet hatte. Man sei sportlich „in einer Situation, die uns allen Sorge bereitet“, erklärte Rummenigge, dem die vergangenen Tage sichtlich zugesetzt haben. „Unsere Mindestziele sind infrage gestellt. Es wird sehr, sehr schwierig, die Champions-League-Teilnahme zu erreichen“, betonte der Vorstandsvorsitzende.
Sieben Punkte beträgt der Rückstand auf den Tabellenzweiten Leverkusen, fünf sind es auf Hannover und Rang drei, der zumindest zu Qualifikationsspielen für die Königsklasse berechtigt. „Nicht nur der Zustand der Mannschaft ist kritisch. Es ist eine kritische Situation für den gesamten Verein“, sagte Kapitän Philipp Lahm. Die Chemie zwischen Trainer und Spielern soll insgesamt aber weiter stimmen.
Der Druck auf van Gaal, die Profis und die Bosse ist megagroß: Am Samstag muss im Heimspiel gegen den Hamburger SV ein Befreiungsschlag in der Liga gelingen, um drei Tage später mit neuem Selbstvertrauen ins Achtelfinal-Rückspiel gegen Inter Mailand gehen zu können. Die Champions League ist Bayerns letzte Titelchance.
Van Gaal zog den Kopf kurzfristig wohl auch deswegen aus der Schlinge, weil die Bayern-Bosse keine Interimslösung fanden, die ihren einmütigen Zuspruch erhielt. Auch ein Wechsel hätte Risiken gehabt: Als die Bayern im Januar 2007 Felix Magath feuerten, konnte selbst der hochdekorierte Rückkehrer Ottmar Hitzfeld das Ruder nicht abrupt herumreißen - die Bayern verpassten in einer titellosen Saison sogar als Tabellenvierter die Teilnahme an der Champions League.
Ehrenpräsident Franz Beckenbauer bezeichnete die Augen-zu-und-durch-Lösung mit van Gaal in der „Bild“-Zeitung darum auch als „sinnvoll“. Der Holländer habe „sicher Fehler gemacht“, aber in der Vergangenheit auch bewiesen, dass er „ein hervorragender Trainer“ sei. „Da ist er mir allemal lieber als eine kurzfristige Notlösung“, sagte Beckenbauer. Jetzt muss es van Gaal als Trainer auf Abruf richten.