Seeler will Unfall abhaken und 75. genießen
Hamburg (dpa) - Uwe Seeler ist nachdenklich geworden. Ein schwerer Auffahrunfall vor dem Hamburger Elbtunnel ohne eigene Schuld im vergangenen Sommer, zwei folgende Wirbelsäulenoperationen und der Verlust des Gehörs auf dem rechten Ohr haben Spuren auch in ihm hinterlassen.
„Das letzte Jahr war das schwerste und es dauert auch noch an“, sagt „Uns Uwe“ vor seinem 75. Geburtstag. Er meint damit nicht nur seine lädierte Gesundheit, sondern auch die Abstiegsängste um seinen Hamburger SV. Der gibt für sein Aushängeschild einen Empfang mit 300 Wegbegleitern. Fest zugesagt haben Franz Beckenbauer, DFB-Präsident Theo Zwanziger und sein Bremer Kumpel Max Lorenz.
„Ich lasse mich aber auch gerne überraschen, wer noch kommt. Nur lange Reden möchte ich nicht“, sagt der bescheidene Fußballer, der um sich selbst kein Aufsehen machen will. „Ich bin doch stinknormal.“ Ein HSV-Sieg in Leverkusen am Samstagabend ist ihm fast wichtiger als die mittägliche Feier in der VIP-Lounge im Volkspark. Die Talfahrt seines Vereins, dessen größtes Idol er ist und wohl noch Jahrzehnte bleiben wird, nagt an ihm. „Ich gehe nur noch mit einem mulmigen Gefühl ins Stadion.“
Seeler kritisiert nicht offen die Verantwortlichen für die Fehler in der Vergangenheit, er mag Menschen nicht wehtun. Aber es ist deutlich herauszuhören, dass ihm die Führung der Hanseaten um den Vorstandsvorsitzenden Bernd Hoffmann ganz und gar nicht gefiel. „Normal sollten wir ja schon unter den Top 10 in Europa sein“, meint er vielsagend zu den verkündeten Zielen Hoffmanns. „Ich habe nichts gegen Risiko, aber wir haben ja mit Millionen jongliert.“ Die derzeitigen Schulden gäben kaum Handlungsspielraum.
„Das ist das Schwerste, wenn man alles wieder ins Gleis bringen muss“, sagt er mit Blick auf die Arbeit von Hoffmann-Nachfolger Carl-Edgar Jarchow, der in der Krise den Kontakt zu Seeler suchte. „Die haben mich gefragt, aber ich kenne keine Interna. Man sollte alles mit Vorsicht aufbauen“, lautet sein Rat. Er selbst hat als HSV-Präsident von 1995 bis 1998 genug schlechte Erfahrungen gemacht, als Finanzskandale und sportliche Misserfolge an seinem makellosen Image kratzten. Er möchte sich nicht mehr einmischen.
„Im Nachhinein bereue ich es nicht, es war kein Fehler“, sagt Seeler über seine Amtszeit. Für diese Erkenntnis brauchte er aber Jahre, so enttäuscht war er von Weggefährten, die ihn hintergangen hatten. Inzwischen ist er sogar stolz, dass er den Neubau des Stadions und des HSV-Internats angeschoben hat. „Es ist zu bezweifeln, ob wir im alten Volkspark noch in der ersten Klasse spielen würden“.
Vor Jahren strahlte Mittelstürmer Seeler noch eine gewisse Unruhe aus, war immer auf dem Sprung. Nun wirkt er gelassen und gewitzt. Er ist mit sich im Reinen und hat gelernt, gelegentlich auch Nein zu sagen. „Ich kann nicht alles schaffen, ich brauche meine Pausen.“ Mit einer Engelsgeduld bewältigte er vor seinem Jubiläum trotzdem weit mehr als 50 Interviews.
Er ist stolz auf seine Karriere, in der er 1961 trotz eines Millionen-Angebotes von Inter Mailand den Hanseaten treublieb, wäre aber zu gern einmal Weltmeister geworden. „Wenn ich schon bei vier Weltmeisterschaften dabei war, hätte ich auch gern einmal den Titel geholt. Aber ich hatte nicht das Glück. Trotzdem war alles wunderschön. Ich vermisse nichts.“ Seine Erfolgsbilanz: 1 000 Tore für seinen HSV, 72 Länderspiele mit 43 Treffern zwischen 1954 und 1970, dreimalige Wahl zum „Fußballer des Jahres“, deutscher Meister und Pokalsieger.
Zu Kopf gestiegen sind dem aus einfachen Verhältnissen stammenden Sohn eines Hamburger Schutenführers die Erfolge nicht. Dafür hat auch Ilka gesorgt, eine ehemalige Handballerin im HSV, die Seeler vor 52 Jahren heiratete und noch heute verehrt. Wenn sich der „Dicke“, wie sie ihn liebevoll nennt, mit Terminen für seinen langjährigen Arbeitgeber Adidas und seine Stiftung für unschuldig in Not geratene Menschen wieder zu viel zugemutet hat, ist sie sein Korrektiv. Ende des Jahres ist bei Adidas nach 50 Jahren Schluss.
„Meine Ilka sagt oft, schalte ab“, erzählt Seeler, der seine Familie mit drei Töchtern und sieben Enkeln als „Insel der Ruhe“ empfindet. Auf den 15 Jahre alter Levin ist er besonders stolz, auch wenn er es nicht so richtig zugibt: „Er soll Spaß am Fußball haben, mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben. Er ist mir genauso lieb wie alle anderen Enkel.“
Doch heimlich, wenn der schüchterne Levin nichts davon mitbekommt, fährt Seeler zu den Spielen der U 17 des HSV und versteckt sich hinter eine Hecke, um den schlaksigen Regisseur zu beobachten. So ist es auch ganz gut, dass Levin wegen seines Vaters mit türkischen Wurzeln Öztunali heißt und bisher auch in der U 16 des DFB weitgehend inkognito spielte. Eines ist für „Uns Uwe“ ganz sicher: Für die Türkei werde Levin niemals auflaufen: „Der Opa ist alter HSVer, da ist doch klar, dass er in Deutschland bleibt.“