St. Pauli entert Volkspark - Veh in Gruselgalerie
Hamburg (dpa) - In frisch gedruckten „Derbysieg“-Shirts tanzten Gerald Asamoah und Co. die Polonaise durch den Volkspark, braun-weiße Autokorsos verstopften die Reeperbahn - und die düpierten Spieler und Fans des Hamburger SV schlichen gedemütigt nach Hause.
„Ich brauche bis nächstes Jahr keinen Tropfen Alkohol und habe immer gute Laune“, sagte St. Paulis Manager Helmut Schulte nach dem 1:0 (0:0) im weitgehend friedlichen Stadtduell, das seine Fußball-Profis wie einen DFB-Pokalsieg feierten. Lediglich die schwere Auswärtsaufgabe bei Borussia Dortmund am Samstag verhinderte eine Partysause der Kiezkicker, die mit dem Abstieg nun nichts mehr zu tun haben wollen.
„Das ist ein ganz besonderer Moment nach 33 Jahren“, sagte St. Paulis Coach Holger Stanislawski, „nun werden wir in Dortmund etwas ganz Besonderes machen - wir spielen immerhin beim zukünftigen deutschen Meister“. Jeder hatte gesehen, dass der HSV das bessere Team war, die Partie lange mit Powerplay auf ein Tor dominierte - doch am Ende siegte der Wille über die individuelle Klasse.
„Ich bin sehr stolz auf meine Jungs, wir haben Geschichte geschrieben“, meinte Stanislawski, der mit der Hereinnahme von Ersatz-Torwart Benedikt Pliquett alle Experten überrascht hatte. Ohne Not nahm er Thomas Kessler heraus und schenkte dem Ex-HSVer Pliquett den ersten Bundesliga-Einsatz. „Wenn man jahrelang über Vertrauen redet, muss man es den Spielern auch mal zurückgeben“, sagte der Coach, der Pliquett unter maximalem Druck testen wollte.
Zu Null gespielt und keine Unsicherheit gezeigt - der 26-Jährige bestand den Härtetest. „Das war mit Abstand das emotionalste Spiel meines Lebens und der größte Tag in meinem Fußballerleben“, betonte der Keeper, der von 2000 bis 2004 beim geschlagenen Rivalen gespielt hatte und deswegen besonders glücklich war: „Ich bin beim HSV vom Hof gejagt worden. St. Pauli liebe ich wirklich, das kommt zu hundert Prozent vom Herzen.“ Bereits fünf Wochen vor dem Derby hatte ihn der Trainer in den Plan eingeweiht - und Pliquett hatte dicht gehalten.
„Ich kann es immer noch nicht fassen, dass wir den großen HSV geschlagen haben, wir, St. Pauli, das kleine Pauli, die kleine Ecke. Die Jungs wissen noch gar nicht, was sie alles können“, schwärmte Torheld Asamoah über die beste Rückrundenmannschaft. „Ich habe jahrelang auf Schalke Derbys erlebt, aber das hier ist etwas ganz Besonderes“, so der Stürmer, der mit seinem Kopfball in der 59. Minute den Spielverlauf auf den Kopf gestellt hatte.
Seine Privatwette mit Heiko Westermann hat Asamoah zudem gewonnen, der HSV-Kapitän muss nun mit freiem Oberkörper sein Auto waschen. „Die Schmach müssen wir uns ein halbes Jahr antun, dass St. Pauli hier gewonnen hat. Das ist für mich und alle Beteiligten eigentlich das Bitterste“, so Westermann.
Eine weitere Demütigung, nachdem der favorisierte Gastgeber wieder einmal im entscheidenden Moment versagt hatte. Wie in den Vorjahren, als man im Frühjahr 2009 innerhalb von 19 Tagen alle Titelhoffnungen gegen Werder Bremen verspielte und im Jahr darauf das Finale der Europa League im eigenen Stadion knapp verpasste, fehlt dem HSV in kniffligen Situationen der Biss. Trotz 24:5 Torschüssen sprang nichts Zählbares heraus.
„Das ist ganz bitter, aber nach dem Gegentor haben wir die Struktur verloren“, analysierte Trainer Armin Veh, der mit Entsetzen registrierte, dass er in die HSV-Gruselgalerie aufgenommen wurde. Der einzige Trainer, der außer ihm gegen den Stadtrivalen verlor, ist Rudi Gutendorf.
Nun werde sich zeigen, ob der HSV eine Mannschaft sei und wieder aufstehe. „Wenn wir gegen Werder am Samstag eine gute Reaktion zeigen, kann man daraus lernen“, so Veh, der erstmals seit Wochen auf der Ersatzbank haufenweise Nationalspieler sitzen hatte. Profis wie Ruud van Nistelrooy und Eljero Elia, die seit Wochen mehr mit Forderungen nach Vereinswechseln und Einsatzgarantien als mit Leistung auffallen, blieben wieder blass.