Ultras: Die Welt „mit Händen, Hirn und Füßen erleben“
Frankfurt/Main (dpa) - Für Fußballinteressierte und Funktionäre verkörpern die Ultras eine zuweilen beängstigende Subkultur - wenn sie deren Treiben überhaupt als Kultur und nicht nur als Krawall betrachten.
Praktisch Woche für Woche bieten Teile dieser Hardcore-Fanbewegung in den Stadien immer wieder ein Bild: vermummte junge Männer, die Bengalos zünden. Mit „Kurvenrebellen“ gibt es jetzt ein Buch über die Ultras. Der Karlsruher Autor Christoph Ruf hat monatelang recherchiert und ein überaus differenziertes Bild dieser Szene gezeichnet.
„Mich befremdet die Ultra-spezifische Mischung aus kindlichen Pfandfinder-Riten und einer Gewaltfaszination, die ich intelligenten Menschen nur schwer verzeihen kann“, schreibt der 42-Jährige. „Doch das, was ich an der Ultra-Szene schätze, überwiegt bei weitem.“ Eine brennende Fackel genüge zuweilen, um eine ganze Kaskade von Negativschlagzeilen über diesem Personenkreis auszuschütten, die bundesweit aus etwa 25 000 Menschen bestehen dürfte. Aber die Szene, so Ruf, „ist lebendig, sie diskutiert, sie erlebt die Welt mit Händen, Hirn und Füßen, anstatt sie sich von zweifelhaften Autoritäten erklären zu lassen.“ Für ihn sind die Ultras gar „die besten ihrer Generation“.
Jedenfalls bieten die so oft kritisierten Fußballanhänger bei ihren Clubs viel mehr als großartige Stimmung und Choreographien in der Arenen. Ihre Gruppenräume sind oft eine Art Jugendzentrum, die Ultras sind auch politisch aktiv - in einer ganz anderen Richtung als viele glauben. Eberhard Schulz von der Evangelischen Versöhnungskirche in Dachau hält beispielsweise das Engagement der Fan-Gruppe „Schickeria München“ gegen Rassismus und Antisemitismus für „absolut glaubwürdig“.
Michael Gabriel, Leiter der bundesweiten Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS), behauptet in dem Buch: Die Mehrheit der Profivereine hätte keinen blassen Schimmer, wie die Fans in der Kurve ticken. „Sie müssen auf die Fans zugehen und sie so pflegen, wie sie das mit den Sponsoren tun“, fordert er. Die Ultras schlügen auch deshalb über die Stränge, weil sie den Eindruck hätten, dass ihr Engagement und ihre Kreativität von den Vereinen nicht honoriert würde.
Im Vergleich zu den Hochzeiten der Hooligans in den 80er und 90er Jahren gehe es heute in den Stadien „geradezu idyllisch“ zu, so Ruf. Heute gelange jede noch so kleine Schubserei ins Internet, nicht selten von jenen gepostet, die sich nachher über die Hysterie aufregen. Ganz intensiv hat sich der Autor mit dem ständigen Spannungsfeld zwischen Polizei und Ultras beschäftigt, bei zahlreichen Auseinandersetzungen nachrecherchiert. Und da kommen beide Seiten nicht gut weg.
„Ultra-typische Gewalttaten gab und gibt es fraglos an jedem Wochenende irgendwo in der Republik“, schreibt Ruf. Der demonstrative Hass auf die Polizei sei auch ein wichtiger Teil der Selbstinszenierung. Andererseits hätten ihm „erschreckend viele“ Ultras aus den unterschiedlichsten Zusammenhängen berichtet über Fälle von angeblichen Willkürmaßnahmen und Übergriffen. Vor allem, wenn Sondereinheiten der Polizei im Einsatz sind, die Unterstützerkommando (USK) oder Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten (BFE) heißen.