Champions League Real gegen Bayern - Alles auf Jupp

Wie ein 72-Jähriger den FC Bayern im „Sprechzimmer“ wieder flott machte: Trainer Heynckes hofft bei Real Madrid auf einen seiner wirklich letzten großen Coups.

Trainer Jupp Heynckes vom FC Bayern München.

Foto: Matthias Balk

München. Noch vier Spiele. Vier? Oder vielleicht doch fünf? Zweimal Bundesliga-Auslaufen in Köln und gegen Stuttgart, das DFB-Pokalfinale in Berlin gegen Frankfurt, das Halbfinal-Rückspiel in der Champions League gegen Real Madrid am Dienstag - und das siebte dann in Kiew, das große Endspiel in der Königsklasse? Geht da noch was nach dem 1:2 gegen Real im Hinspiel am vergangenen Mittwoch?

Warum nicht. Glaubt Jupp Heynckes, die Fußball-Legende, der einzige deutsche Trainer, dem das Triple aus deutscher Meisterschaft, DFB-Pokal und Champions League gelang. Und der das sagenhafte Meisterstück nun wiederholen könnte. „Real Madrid ist eine exzellente Mannschaft“, sagt Heynckes, „aber wir auch.“ Sie planen das kleine Wunder von Bernabeu, ein zurecht gezimmerter Rückspielsieg am Dienstag (20.45 Uhr/ZDF), der für den Einzug in das Finale am 26. Mai reicht.

Der Respekt vor Heynckes ist in den spanischen Medien gewaltig. Er war damals der Trainer, heißt es, der die Zeit von Real Madrid als ewiger Verlierer beendet hat. Zwar nur ein Jahr lang dirigierte der Maestro das weiße Ballett, aber er triumphierte mit den Feinfüßen 1998 in der Königsklasse. Der „Entrenador Heynckes“, wissen sie, hat bei jeder Teilnahme auch das Finale der Champions League erreicht. Und er kennt Real: als Trainer von Athletic Bilbao und CD Teneriffa. Oder viel früher: Als 30 Jahre alter Stürmerstar von Borussia Mönchengladbach, als der niederländische Schiedsrichter Leonardus van der Kroft 1976 die Gladbacher benachteiligte und aus allen Europapokal-Träumen riss. Nach dem 2:2 im Hinspiel im Düsseldorfer Rheinstadion war das 1:1 im Estadio Santiago Bernabeu zu wenig. „Wir waren fix und fertig. Da habe ich auch zum ersten Mal die atemberaubende Kulisse im Estadio Bernabeu kennen gelernt“, sagte Heynckes vor Tagen. 125 000 Zuschauer füllten die Fußball-Arena seinerzeit bis auf den letzten Platz.

Zwölf Jahre später kehrte Heynckes als Gladbachs Trainer nach Bernabeu zurück. Nach einem 5:1-Triumph im Hinspiel stand Gladbach mit einem Bein in der nächsten Runde. Was sollte am 11. Dezember 1985 noch groß passieren? „Die schwarze Nacht von Amdrid“: Die Königlichen fegten, angefeuert von ihren „Aficionados“, den heißblütigen Real-Fans, die Borussia mit 4:0 vom Feld.

Und nun? 2012 im CL-Halbfinale war Real schon einmal das Bayern-, das Heynckes-Opfer, ehe gegen Chelsea im Finale der Titel weggerissen wurde. Er hat sich angenähert. Und dominiert jetzt diese Mannschaft auf seine ganz eigene Weise. Die Bayern, die jetzt auf Real warten, sind nicht die Bayern von Pep Guardiola, und sie sind nicht die Bayern von Carlo Ancelotti, sie sind wieder die Bayern von Jupp Heynckes. Sie ticken anders als unter dem gemütlichen Italiener aus Reggiolo oder dem hyperaktiven Spanier aus Santpedor. Juventus Turin ist vor wenigen Wochen im Rückspiel des Viertelfinals im Bernabéu Erstaunliches gelungen. „Da haben sie mit 1:3 verloren. Auch wenn Real weitergekommen ist, heißt das: Sie sind verwundbar“, sagt Heynckes. Aufgeben ist nicht.

Dass überhaupt jemand daran glaubt, ist Heynckes’ Verdienst. Denn als der altersweise Fußballlehrer im Herbst 2017 nach München zurückkehrte, war die Mannschaft ein dunkler Schatten ihrer selbst. Mit Ancelotti in Paris 0:3 gedemütigt, mit dem Ein-Spiel-Interimstrainer Willy Sagnol in Berlin einen 2:0-Vorsprung bei der biederen Hertha verspielt. Borussia Dortmund war in der Liga um fünf Punkte enteilt. „Wir sind“, sagte Sagnol seinerzeit, „nicht mehr die stärkste Mannschaft in Deutschland.“ Am Dienstag, nach 24 Bundesligaspielen und mehreren glanzvollen Auftritten im Pokal und in der Champions League unter Heynckes, klingt der Satz fast absurd.

Wie hat er das gemacht? Es galt, die unter Ancelotti verloren gegangene Hierarchie wiederherzustellen. Die Weltmeister Jérôme Boateng und Mats Hummels, vom Vorgänger austauschbar gemacht, bekamen ihre Plätze an der Spitze zurück. Müllers herausragende Stellung als Fußballer, Identifikationsfigur und Kapitän betonte der Chef. Javi Martinez schob er ins defensive Mittelfeld, wo der schon in der letzten großen Heynckes-Zeit brilliert hatte. David Alaba und Joshua Kimmich bekamen mehr Freiheiten, mit dem Kolumbianer James sprach Heynckes Spanisch und gab ihm wichtige Aufgaben. Und dem nach Manuel Neuers Ausfall zur Nummer eins gewordenen Sven Ulreich schenkte er volles Vertrauen.

Es ging auch anders: Weil ihm Arturo Vidals Trainingseinsatz missfiel, erhielt der einen Rüffel. Die sich gerne mal als Diven gerierenden Altstars Arjen Robben und Franck Ribéry stellte Heynckes in den Senkel, wenn sie bei Nichtberücksichtigung aufmuckten. Sämtlichen Spielern aber vermittelte er: Ihr seid alle wichtig. „Jeder wird ins Boot geholt“, sagt Boateng, „das gibt uns Spielern das Gefühl, dass man diesem Mann was zurückgeben möchte.“ Heynckes’ Büro bekam den Spitznamen „Sprechzimmer“.

Alles fügte sich schnell. Als wäre er nie weggewesen. „Mich fasziniert es noch heute, wie hartnäckig und geschlossen die Mannschaft damals ihre Ziele verfolgt hat“, hat der Mann kürzlich mit einem Blick zurück auf das Triple-Team von 2013 erklärt. Genau diese Bereitschaft spürt er jetzt wieder. Immer noch. Trotz des Hinspiels. „Real Madrid? Ja, wir können das schaffen“, sagte Heynckes schon vor dem Hinspiel, „ich habe einen Plan.“ Er will nach Kiew. Er will noch fünf Spiele.