Schönste Niederlage: BVB zurück auf Fußball-Olymp

Dortmund (dpa) - Sichtlich übernächtigt verließen die Dortmunder Partylöwen den Flieger. Die lange Feier hatte ähnlich viel Substanz gekostet wie das spektakuläre 0:2 (0:0) im Halbfinal-Krimi bei Real Madrid wenige Stunden zuvor.

In der vom ehemaligen Real-Profi Nuri Sahin empfohlenen Buddha-Bar stieß die Mannschaft auf den Einzug ins Champions-League-Finale an. Einige Profis feierten danach in anderen Kneipen der spanischen Hauptstadt bis in die frühen Morgenstunden weiter.

Dass der allerdings sportlich bedeutungslose Bundesliga-Gipfel gegen den FC Bayern ansteht, interessierte in diesem Moment niemanden. Selbst Jürgen Klopp hatte keine Einwände gegen eine rauschende Party: „Wenn ich der Mannschaft jetzt nicht gestatte auszugehen, bin ich ja ein Vollhorst.“ Schmunzelnd fügte er an: „Wir haben ja einen Tag länger Pause als die Bayern. Den werden wir nutzen.“

Der historische Abend im Bernabéu versetzte auch den Trainer in Euphorie: „Dass diese Mannschaft im Finale steht, ist die außergewöhnlichste Leistung, von der ich seit langen, langen Jahren im Sport gehört habe.“ Gleichwohl hätte auch er sich die Zitterpartie in der Nachspielzeit liebend gern erspart: „Aber Borussia Dortmund gibt es nur all inclusive.“

Beim nervenaufreibenden Schlussakt ergriff Hans-Joachim Watzke trotz der aufmunternden Worte des spanischen Königs die Flucht. Den BVB-Geschäftsführer hielt es nicht länger an der Seite seines Tribünennachbarn Juan Carlos. „Ich habe mich auf der Toilette eingeschlossen und mir die Ohren zugehalten“, gestand Watzke. Erst als es keine „Stadionerschütterungen mehr gab“ und der Finaleinzug des BVB trotz der ersten Niederlage in der CL-Saison besiegelt war, traute er sich zurück in die Ehrenloge. „Wir können einfach nur dramatisch“, kommentierte Watzke beim TV-Sender Sky die erfreulichste Niederlage der Clubgeschichte.

So schön kann Verlieren sein. „Wembley calling“ stand auf den Shirts, mit denen der überragende Torhüter Roman Weidenfeller und seine Mitstreiter in die nächtliche Fiesta von Madrid starteten. Das Ticket fürs Finale am 25. Mai im Londoner Fußball-Tempel setzte noch einmal letzte Kräfte frei. Mit einem Mal waren alle Strapazen vergessen, die vor allem die atemberaubenden letzten Minuten gekostet hatten.

Mit leuchtenden Augen ließ Sportdirektor Michael Zorc die wundersame Reise des noch 2005 von der Insolvenz bedrohten Clubs Revue passieren: „Man muss die Entwicklung sehen. Erst Meister, dann Meister und Pokalsieger und nun im Champions-League-Finale. Das ist ein Meilenstein“, befand der Champions-League-Sieger von 1997, „damals sind wir glücklicher ins Endspiel gekommen.“

Trotz des üppigen 4:1-Polsters aus dem Hinspiel geriet der BVB im infernalisch lauten Bernabéu mächtig ins Wanken. Viel Fortune und die Klasse von Weidenfeller bewahrten die Dortmunder bereits in den ersten 20 Minuten vor einem frühen Rückstand. „Der König hat immer meine Hand gehalten. Er hat mich immer beruhigt, denn wir waren ja massiv unter Druck“, sagte Watzke schon zur Halbzeit. Gerade als der BVB sich anschickte, die Partie nach Hause zu bringen, sorgte Real mit zwei späten Treffern von Karim Benzema (83. Minute) und Sergio Ramos (88.) für das große Zittern.

Das passte ins Bild von einer denkwürdigen Saison auf internationaler Bühne. Schließlich war bei fast allen BVB-Partien höchster Unterhaltungswert garantiert. In den Gruppenspielen bei Manchester City und Real Madrid kassierte der BVB in den Schlussminuten den Ausgleich. Beim unvergessenen 3:2 im Duell mit Malaga ebneten zwei Tore in der Nachspielzeit den Weg ins Halbfinale.

Und auch der Showdown gegen Madrid war nichts für schwache Nerven. Ähnlich legendär wie die Auftritte der Mannschaft blieben auch die Kommentare von BVB-Urgestein Kevin Großkreutz: „Ich glaube, ich kann das morgen erst glauben. Wir haben so eine geile Truppe, so geile Fans, sind so ein geiler Verein. Wir haben es einfach verdient.“

Die überragende Champions-League-Saison hat dem Club bereits jetzt Einnahmen von mehr als 60 Millionen Euro beschert. Zudem schwärmt ganz Europa vom BVB, auch wenn er - wie in Madrid - nicht zaubert, sondern vor allem leidenschaftlich kämpft. „Es war ein Abend, um anzuerkennen, dass dieses wundervolle junge Dortmund-Team zusätzlich zu seinem seidigen Stil auch Stahl hat“, kommentierte die altehrwürdige Londoner „Times“.

Getrübt war die Freude nur bei Mario Götze. Schon nach 14 Minuten war die Partie für den künftigen Bayern-Profi wegen eines Muskelfaserrisses beendet. Das aus seiner Sicht höchst brisante Topspiel gegen den Tabellenführer aus München wird deshalb ohne ihn stattfinden. Sogar sein Einsatz im Champions-League-Finale am 25. Mai in London ist fraglich. Das erste Bulletin von Klopp verhieß wenig Gutes: „Es wird eng für alles, was noch ansteht.“