Beim Zeus! Ausgerechnet die Griechen

Berlin (dpa) - Ressentiments beim Spiel Deutschland - Niederlande? Pah! Alte Rivalitäten zwischen Frankreich und England? Geschenkt! All das scheint derzeit nichts im Vergleich zur Brisanz des EM-Viertelfinales am Freitag, in dem sich zwei große europäische Nationen gegenüberstehen:

Griechenland, Wiege Europas und seiner Werte, trifft auf Deutschland, Land der Dichter und Denker. Oder, weit prosaischer und gegenwärtiger: Pleite-Staat gegen Wirtschaftsmacht.

Es sind nicht nur zwei Fußballsysteme, die da aufeinandertreffen - hier das stürmische Offensivspiel Löwscher Prägung, dort das von Otto Rehhagel geprägte Abwehrbollwerk. Es sind auch grundverschiedene Mentalitäten abseits des Fußballs: Deutsche Disziplin, Ordnung und Zielstrebigkeit auf der einen, griechische Lässigkeit, Leichtigkeit, manche sagen auch Chaos, auf der anderen Seite - das sind zumindest die weiter gängigen Vorurteile.

Die Griechen haben ein Hammer-Wochenende hinter sich: Erst die überraschende Qualifikation für die K.o.-Runde der EM, dann die Schicksalswahl pro Europa - und damit auch pro Sparkurs. Man muss nicht Aristoteles und Plato bemühen, um zu erahnen, welches Ereignis den Griechen mehr Freude bereitet hat.

Nun also die Deutschen - ausgerechnet. Das Land von Kanzlerin Angela Merkel, der Frau, die einer Sirene gleich die Griechen zum Sparen ruft und in deren Augen irgendwie für die Misere des Landes verantwortlich ist. Beliebt ist der Fußball-Fan Merkel am Peloponnes so wie Steine klauende Touristen auf dem Akropolis-Hügel.

Was kann das arme kleine Griechenland schon gegen eine solch mächtige Nation im Verbund mit dem Rest Europas tun? Richtig, wenigstens im Fußball triumphieren - wie bei der EM 2004. So ist den Griechen, den „Meistern der Effizienz“ (Bundestrainer Joachim Löw), denn auch nicht bange vor Top-Favorit Deutschland.

„Wir wollen jetzt die Deutschen!“, titelte die griechische Zeitung „Sportday“ nach dem Erreichen des Viertelfinals. Und das Sportblatt „Goal-News“ forderte doppeldeutig: „Bringt uns jetzt die Merkel. Ihr werdet Griechenland nie aus der EURO rausschmeißen.“ Der erste Wunsch wird kaum in Erfüllung gehen: Die Kanzlerin kann vermutlich nicht zum Spiel nach Danzig reisen; der zweite Wunsch entscheidet sich auf dem Platz.

Aber wie konnte es nur so weit kommen? Nach Jahrzehnten des gemeinsamen Ouzo-Trinkens und der Verbrüderungsszenen an kretischen Stränden, in denen Gyros mit Pommes und Souvlaki mit allem zu quasi deutschen Gerichten wurden. Warum dieser Keil zwischen zwei Ländern, die mit „Griechischer Wein“, Costa Cordalis, Vicky Leandros, Nana Mouskouri und „Rehakles“ so viel teilen? 375 000 Griechen beziehungsweise griechischstämmige Deutsche wohnen in Deutschland, sie betreiben Restaurants und Arztpraxen, wohnen wie Familie Sarikakis in der „Lindenstraße“, erleben wie einst Susan Sideropoulos „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“.

Sollte die Eurokrise das alles auseinanderbringen? Nein, meint zumindest die Deutsche Eva Salpatas: „Ich würde den Griechen den Sieg wünschen, aus psychologischen Gründen.“ Sie ist mit einem Griechen verheiratet und lebt auf der Insel Euböa sowie in Braunschweig. „Die Leute in Griechenland leiden wirklich sehr, sie können einen Aufwind gebrauchen.“

So weit werden Millionen andere Deutschland-Fans am Freitag wohl nicht gehen. Natürlich soll Löws Elf gewinnen, allerdings kann man beim Griechen um die Ecke nächstes Mal ja einen Ouzo extra bestellen oder einen doppelten Bauernsalat - als Wiedergutmachung sozusagen.