EM-Tagebuch Bonjour - Stätte der Erleuchtung
Der Schriftsteller Peter Handke erkundete mit seinem "Versuch über den stillen Ort" die Toilette als eine Stätte der Erleuchtung zu definieren. Und auf den Spuren Handkes möchte ich natürlich auch nicht die Ausscheidungen huldigen, sondern explizit aussparen.
Also keine Sorge. Und trotzdem hatte ich am Dienstag das Gefühl der Erleuchtung, denn der stille Ort im Medienzentrum in Évian war nur bedingt ein stiller Ort.
Erstmal schon, jedenfalls in meiner Verrichtungs-Kabine. Aber dann betraten zwei Kollegen den Raum mit den Becken. Und während es still plätscherte, legte Nummer 1 mit mächtig verbalem Druck los. Sein Zorn galt offensichtlich einem Kollegen, nennen wir ihn Fabian, der offenbar beim „Unfähigen“ besonders gelitten sei. Jedenfalls werde der Fabian von Anfang an immer besonders aufgewertet. Egal was von wem als Material geliefert werde. Dabei sei der fachlich eine Null und doch nur zu gebrauchen, um durch die Hecke zu blicken. Bitte? „Aber das macht er gut“, warf Nummer 2 ein, wenn er auch sonst ein Arschgesicht sei. Es plätscherte immer noch. Ob der „Unfähige“ als Chef der Redaktion den Kollegen besonders bevorzuge, weil dessen Freundin besondere Fähigkeiten habe, wurde eingehend erörtert, wenn auch mit anderen Worten.
Ab dem Zeitpunkt war mir klar, dass ich besser den stillen Ort als solchen auch würdige. Zuhören bildet. Vor allem, wenn dann die fachliche Null den Raum betritt und offensichtlich Neuigkeiten vom eigentlich streng abgeschirmten Trainingsplatz der Nationalmannschaft hat. „Und?“ fragte Nummer 1 freundlich. „Wir können die Geschichte exklusiv senden, der Emre spielt auf der Sechs.“ „Super gemacht“, lobte Nummer 2. „Dass die nach vier Wochen dein Loch im Zaun nicht entdeckt haben, ist Wahnsinn“, warf Nummer 1 ein. „Können die gar nicht, denn ich hab da so eine Aussicht aus gut 150 Metern oberhalb des Trainingsplatzes“, kam als Antwort. „Du kriegst echt alles mit“ lobte Nummer 1 lachend. Mir war jetzt nicht so ganz klar, ob in dieser Feststellung nicht auch ein wenig Häme lag. Zwei Minuten nachdem die Drei die Latrine verlassen hatten, ließ ich die Spülung rauschen. Und verließ irgendwie erleichtert die Stätte der Erleuchtung.