Deutschland - Frankreich Das DFB-Team ist sympathisch, gefährlich und extrem stabil
Evian-les-Bains. Zwei Europameisterschaften werden ausgespielt in diesen Tagen. Die eine in Deutschland. Wo Hunderttausende sich organisieren und zusammenfinden werden an diesem schwülwarmen Donnerstagabend, an dem es im Halbfinale gegen Frankreich geht.
Wo Millionen Fans am Fernsehschirm für die nächste Rekord-Quote sorgen werden. Wo Wirte den Umsatz des Jahres wittern — und ihn bekommen werden.
Die andere spielt in einem kleinen Kurort namens Evian-les-Bains, der seine besten Tage schon hinter sich hat. In dem eine Mannschaft wohnt, gewohnt hat bis Mittwoch, die vollständig in sich ruht. Sie ist frei von Gefühlsausschlägen. Auch beim letzten Training ging es locker zu, konzentriert zwar, aber unaufgeregt. Kapitän Bastian Schweinsteiger war wieder mit dabei nach seiner kurzen Auszeit wegen der Innenbanddehnung im Knie. Sein Einsatz ist offenbar möglich, aber kaum in der Startelf. Benedikt Höwedes, gegen Frankreich dringend benötigter Innenverteidiger, tat mit wie immer. Er war am Dienstag nur entschleunigt worden. Mittendrin auch Mats Hummels, der Gelbgesperrte.
Zur Behandlung: Sami Khedira. Tatenlos am Rand: Mario Gomez, Torschütze a. D. Die Anwesenheit des Verletzten lässt allerdings Rückschlüsse zu auf die Struktur der Mannschaft, die mehr ist als die Auswahl der 23 besten deutschen Spieler. Joachim Löw hat ein Team geformt wie eine Vereinsmannschaft. Und das sich so benimmt. Begriffe wie Grüppchenbildung oder Bayern-Block hat diese Gruppe ins DFB-Museum geschickt. Das macht sie vielleicht sympathisch, bestimmt gefährlich, auch für die Franzosen — in jedem Fall aber extrem stabil. Das ist der Unterschied zu allen im Feld verbliebenen Teams. Erst recht zu ausgeschiedenen.
„Ich habe Vertrauen zu allen Spielern, die hier sind“, erklärte Bundestrainer Joachim Löw — und der Mann meint das genau so. Darum wird niemand fallen gelassen; Schweinsteiger oder auch Lukas Podolski werden behandelt, als hätten sie noch lange Vertragslaufzeiten. Borussia Dortmund hält ja auch Marco Reus die Treue. Hier, bei Löw, wird niemand einfach so entsorgt. Auch wenn die Öffentlichkeit das schon gerne mal so hätte. Von „Medienrauschen“ spricht Löw dann lächelnd, er nimmt es zur Kenntnis. Stürme in der Cappuccino-Tasse, mehr nicht. Seit dem Gewinn des WM-Titels vor zwei Jahren ist er noch einmal stabiler geworden. Eigentlich unantastbar. „Es ist eine große Stärke von Joachim Löw, unter Druck ruhiger zu werden“, sagt der Mannschafts-Psychologe Hans-Dieter Hermann. Er habe nie erlebt, dass Löw den Druck an andere weitergebe. „Das ist eine extreme Führungsqualität.“
Er, Löw allein, wird entscheiden, ob am Donnerstag eine klassische Viererkette in Bordeaux Frankreich empfängt oder doch die Italien-Variante mit drei Innenverteidigern. Etwa Höwedes, Jerome Boateng und Shkodran Mustafi. Ob Emre Can, 22, zu seinem ersten EM-Einsatz überhaupt kommt an der Seite des unerschütterlichen Toni Kroos. Oder doch Julian Weigl, 21, in seinem erst zweiten Länderspiel überhaupt. Eine Sollbruchstelle in einem EM-Halbfinale? Noch dazu gegen Gastgeber Frankreich? „Wir haben einen sehr aktiven Spielerrat, der meiner Wahrnehmung nach noch stärker als 2014 in die Mannschaft hineinwirkt und sehr integrierend ist. Einfach außergewöhnlich“, sagte Psychologe Heinrich. „Es gibt zwischen den Jüngeren und den Erfahreneren einen guten Kontakt auf Augenhöhe.“
Es ist also kaum damit zu rechnen, dass dieses Konstrukt am Donnerstag zerbrechen wird wie das der Spanier gegen Italien oder das der Engländer gegen Island. Ein Sieg und der Finaleinzug sind im Umkehrschluss natürlich nicht selbstverständlich. Aber die mentale Stärke ist aufseiten der Deutschen. Hermann: „Bei einer hohen Leistungsdichte ist sie das ausschlaggebende Element.“