Achtelfinale Die 104. Minute, die die Iren nie vergessen werden

Henrys Handspiel brachte die „Boys in Green“ um den WM-Start — Am Sonntag ist eine Rechnung zu begleichen.

Am 18. November 2009 feierten die Franzosen ihren fragwürdigen Sieg über Irland.

Am 18. November 2009 feierten die Franzosen ihren fragwürdigen Sieg über Irland.

Foto: Horacio Villalobos

Osnabrück/Lyon. Es ist und bleibt eine der größten Ungerechtigkeiten im europäischen Fußball, die am 18. November 2009 in der 104. Minute im Stade France geschah und bis heute nicht vergessen ist.

Außenseiter Irland führt durch ein Tor von Robbie Keane mit 1:0, als Florent Malouda einen Freistoß in den Strafraum der Gäste schlägt. Kapitän Thierry Henry stoppt den Ball, für jeden deutlich sichtbar, mit der Hand, legt quer auf William Gallas, der zum Ausgleich trifft. Die Franzosen fahren zum Weltchampionat nach Südafrika, die „Boys in Green“ nicht. Vor der Neuauflage der Partie am Sonntag in Lyon ist eine Revanche selbstverständlich ein Thema bei den Iren. Dieser schreiende Sündenfall von damals muss bestraft werden. Eine alte Rechnung ist zu begleichen“, schreibt L’Équipe.

Fünf aus dem aktuellen EM-Kader der Iren waren an jenem verhängnisvollen Novembertag dabei. Aus dem 23-köpfigen Kader der Franzosen erlebten sechs Spieler den Abend im Stade de France entweder auf dem Platz oder auf der Ersatzbank mit. Der Skandal sitzt in ihren Köpfen, die Szene haben sie vor Augen: Irlands Trainer Giovanni Trapattoni ist entsetzt, schlägt sich vor dem vierten Offiziellen immer wieder mit der rechten Hand auf den linken Unterarm: „Hand! Hand! Hand!“ Eine Geste, die irische Fans nach dem Einzug ihrer Mannschaft ins EM-Achtelfinale öffentlich nachmachen.

„Der Fußball verliert seine Glaubwürdigkeit“, erregte sich der Italiener Trapattoni vor sechseinhalb Jahren: „Man kann Kindern in der Schule nichts mehr von Fairplay erzählen.“ Irlands Protest wurde abgelehnt. Die falsche Tatsachenentscheidung von Schiedsrichter Martin Hansson aus Schweden hat Bestand. Henry hätte damals zum Helden des globalen Fußballs werden können, hätte er die Unsportlichkeit gleich zugegeben, und nicht erst später auf Nachfrage. „Natürlich war es ein Handspiel, aber ich bin nicht der Schiedsrichter“, sagte der Franzose. Auf die Frage eines Journalisten, warum er das nicht gleich zugegeben hätte, entgegnete er: „Sehr lustig, Sie sind ja sehr lustig.“ Dass Henry sich mit der Mannschaft von den französischen Fans unter den 79 145 Zuschauern im Stade de France feiern ließ, machte es für die Iren nur noch unerträglicher. „Ein wunderbarer Fußballer, aber will er wirklich so in die Geschichte eingehen“, fragte Irlands damaliger Verbands-Generalsekretär John Delaney: „Soll dieses Handspiel sein Vermächtnis sein?“

Später kam noch etwas viel Ungeheuerlicheres zutage: Die FIFA hatte dem irischen Verband nach der Partie fünf Millionen Euro überwiesen. Die Zahlung wurde vom Weltverband bestätigt, „um den Ansprüchen Irlands gegen die FIFA ein Ende zu setzen“. Es sollten also nie mehr rechtlichen Schritte gegen das Fehlurteil und die Benachteiligung geltend gemacht werden. Die Summe sei als Darlehen für den Stadionbau ausgezahlt worden und sollte von den Iren bei einer erfolgreichen Qualifikation für die WM 2014 zurückerstattet werden. Nach Brasilien schafften es die Iren nicht, der Betrag wurde abgeschrieben. Vergessen ist nichts, auch bei Torschütze Gallas nicht: Er wird am Sonntag im Stadion sein (Mit dpa)