Gruppe F Die Scherzbolde
Auch wenn es in den letzten Tests gerumpelt hat: Die Österreicher gehen ausgesprochen guter Laune und völlig verändert gegenüber 2008 in ihre zweite EM-Endrunde / Sebastian Prödl: „Österreichischer Fußball ist eine Marke“
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Mallemort. Sie scheinen wirklich gut drauf, diese Österreicher. Anders ist es ja nicht zu erklären, dass Sebastian Prödl und Martin Harnik bei einer per Live-Übertragung in die Heimat übermittelten Eröffnungspressekonferenz plötzlich anfingen, streng gehütete Geheimnisse auszuplaudern. Als am Mittwoch nach der Ankunft im Mannschaftshotel vor dem verschlafenen Örtchen Mallemort die Zimmerschlüssel verteilt worden wären, erzählte der noch beim VfB Stuttgart unter Vertrag stehende Harnik grinsend, hätten er und Kumpel Prödl lange Gesichter gemacht. Denn der mondäne Bau mitten im Herzen der Provence ist nach einer Erweiterung so großzügig ausgestaltet, dass jeder Nationalspieler ein Einzelzimmer bekommen hat — was aber die Gepflogenheiten im eingespielten Doppelzimmer Prödl/Harnik durcheinanderbringt. „Das fanden wir schon enttäuschend.“ Was also tun? „Wir sagen uns Gute Nacht, bevor wir einschlafen.“
Humor auf die österreichische Art, die auf einer deutschen Veranstaltung zu diesem Anlass irgendwie undenkbar scheint. Der inzwischen beim FC Watford verteidigende Recke Prödl hat in der Ausstellungshalle einer 7000-Einwohner-Gemeinde zwischen Avignon und Aix-en-Provence zudem verraten, was sich alles gegenüber der EM-Endrunde vor acht Jahren geändert hat, als Österreich als Mitausrichter mitspielen durfte. „Es ist ein Riesenunterschied zu 2008“, erklärte der ehemalige Bundesliga-Profi Prödl, der damals als junges Talent aus Graz antrat, das gerade den Vertrag in Bremen unterschrieben hatte — nun ist er einer von fünf Akteuren, die auf diese Erfahrung zurückgreifen. „Nicht nur wir Spieler haben uns weiterentwickelt, sondern auch der ÖFB hat sich weiterentwickelt, was die Planung und Vorbereitung angeht. Die Ernährung, die Hotels, das Trainingslager - das ist alles sehr klug gewählt“, lobte der bald 29-Jährige und folgerte selbstbewusst: „Der österreichische Fußball an sich ist wieder eine Marke geworden, wir haben unter dem neuen Trainer einen neuen Spielstil kreiert und wollen die Stimmung im Lande mitnehmen.“
Die eigene Anhängerschar hatte so viele Tickets geordert, dass der Verband bei der Uefa um eine Erhöhung des Kontingents bettelte: Nun dürfen mehr als 10.000 Fans den ersten Auftritt in Bordeaux gegen Ungarn verfolgen, beim letzten Gruppenspiel in Paris gegen Island können mehr als 24.000 Landsleute dabei sein. Dass es bei den finalen Tests gegen Malta (2:1) und Niederlande (0:2) gehörig rumpelte, muss die Euphorie nicht trüben, befand der Abwehrspieler, „wir haben das intern analysiert, wir sind stark genug.“ Zumindest um Ungarn und Island hinter sich zu lassen.
Allerdings richtete der Teamchef in dem mit rot-weiß-roten Stellwänden und mannshohen Jubelfotos hübsch hergerichteten Mediencenter eine mahnende Botschaft an seine Mannschaft: „Wir müssen wieder in die Gänge kommen. Ich halte nichts davon, in der Vergangenheit zu leben“, warnte Marcel Koller, der die unbestrittene Fortentwicklung des Fußballs made in Austria in Frankreich unbedingt sichtbar machen möchte. Der 55 Jahre alte Schweizer spürt wohl, dass der eine oder andere doch dazu neigt, sich in einen imaginären Schaukelstuhl zu lehnen.
Gegen den Nachbarn Ungarn, der mit ständigen Lobhudeleien den Gegner in Sicherheit wiegt, wartet kommenden Dienstag eine prestigeträchtige Paarung auf die Repräsentanten aus der Alpenrepublik, die am späten Donnerstagnachmittag noch eine öffentliche Trainingseinheit abhielten, zu der 500 Zuschauer Einlass erhielten. Auch die Übungsstunde hat das ORF live übertragen und der Teamchef wohl eigens das Programm geändert, wie Scherzbold Harnik anmerkte: „Da können wir ja dann nicht nur langweiliges Passspiel machen.“ Sie waren verbal wirklich gut drauf, diese Österreicher.