EM-Fieber auf den Fanmeilen
Kiew (dpa) - Die griechischen Fans Anastasios und Sotos können kaum zum Bierstand vordringen. Ständig wollen andere Fans ein Bild mit den Männern mit den antiken Goldhelmen machen.
„Es ist irre“, sagt Anastasios , der für die EM drei Wochen Urlaub genommen hat und zum ersten Mal in Polen ist. „Schade, dass Polen aus der EM gekippt ist. Aber die Polen sind immer noch tolle Gastgeber.“
Nur drei Kilometer vom neuen Nationalstadion am östlichen Weichselufer entfernt schlägt in der Warschauer Fanzone das zweite Fußballherz der EM. Der Platz neben dem im stalinistischen Stil gebauten Kulturpalast bietet Platz für 100 000 Menschen. Bunt kostümiert feuern Fans aus allen EM-Ländern ihre Teams an. Beim Eröffnungsspiel oder Polens Spiel gegen Tschechien versuchten rund 140 000 Besucher auf der Fanmeile und den umliegenden Straßen, einen Blick auf die Großleinwände zu erhaschen.
Allein von der Warschauer Fanmeile aus haben bisher mehr als eine Million Menschen die EM-Spiele verfolgt. In Posen, Breslau und Danzig versammeln sich ebenfalls Zehntausende Fans für jedes Spiel. Nur beim ersten Viertelfinale am Donnerstagabend zwischen Portugal und Tschechien (1:0) ging das Interesse merklich zurück.
Auch in der Ukraine sind die Fanzonen große Partymeilen. In Kiew, wo am 1. Juli das EM-Finale steigt, feiern an manchen Tagen rund 100 000 Menschen auf dem etwa 51 000 Quadratmeter großen Bereich im Zentrum. Der achtspurige Prachtboulevard Kreschtschatik ist für den Verkehr gesperrt, stattdessen stehen Cafés, Souvenirstände und sieben Großbildleinwände zwischen den imposanten Gebäuden im Stalinschen Architekturstil.
Auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan), von dem 2004 die Bilder der prowestlichen Orangenen Revolution um die Welt gingen, rocken Stars wie Eurovision-Siegerin Ruslana oder - erst am 30. Juni - Elton John und Queen auf einer gewaltigen Bühne.
Die umstrittene Führung der Ex-Sowjetrepublik nutzt die Fanzonen zum Bad in der Menge. Regierungschef Nikolai Asarow sprach etwa in Kiew ausgelassene Turnier-Besucher aus Schweden an. „Ich spendiere euch ein Bier, wenn wir verlieren“, sagte Asarow unter dem Grölen der Fans - und musste die Wette nach dem Sieg des Gastgebers nicht einlösen.
In Donezk schüttelte Präsident Viktor Janukowitsch zahlreiche Hände. In seinem Heimatort riskiert der Staatschef kaum, auf den Fall der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko angesprochen zu werden. Ein Zeltlager von Unterstützern der Oppositionsführerin ist direkt an der Fanzone in Kiew ein Besuchermagnet - zum Ärger von Janukowitsch & Co.
Nicht nur in Kiew und Donezk, auch in den anderen ukrainischen Spielorten kommen Einheimische und EM-Touristen zusammen. In Charkow feierten Tausende Niederländer trotz des frühen Ausscheidens ihrer Mannschaft unter einer gewaltigen Lenin-Statue im Stadtzentrum.
Ukrainische Gewerkschaftler und Tierfreunde sowie die international bekannte Frauenorganisation Femen nutzen die derzeitige internationale Aufmerksamkeit in der zweitgrößten Stadt des Landes zu kleineren Protestzügen direkt in der Fanzone. In Lwiw (Lemberg) schwärmten tausende deutsche Fans von der historischen Altstadt, dem einheimischen Bier und vor allem von hübschen Ukrainerinnen.
Ähnlich ist es in Warschau, wo an den spielfreien Abenden Open Air-Kino und Konzerte überwiegend einheimischer Popgruppen für Abwechslung sorgen. Junge Polinnen, bevorzugt in weiß-roten Miniröcken oder hot pants, lassen wohlgefällige Blicke vor allem über die Fans aus den Mittelmeerländern gleiten. Polen und Tschechen diskutieren über Fußball und die Qualität der jeweiligen nationalen Biersorten. Nur dass Regenschirme aus Sicherheitsgründen bei der Eingangskontrolle abgegeben werden müssen, trübt an diesen regnerischen Juniabenden die Stimmung.