England am Tiefpunkt - Grotesker Hodgson-Abgang

Nizza (dpa) - Blanke Verachtung und bitterböse Schlagzeilen aus der Heimat hatten Roy Hodgson sichtlich zugesetzt. Bevor Englands Team nach der historischen Demütigung durch Island die Heimreise antrat, schloss der zurückgetretene Coach das EM-Desaster mit einem grotesken Auftritt ab.

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„Ich weiß immer noch nicht, was ich hier genau soll“, zürnte der 68-Jährige genervt von der Dauer-Kritik bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz. „Ich bin nur hier, weil mir gesagt wurde, dass es für viele Leute wichtig ist. Ich nehme an, jemand muss hier sitzen und die Prügel kassieren.“

Und die fielen angesichts des neuen Tiefpunkts des englischen Fußballs heftig aus - mit Hohn, Spott und blanker Verachtung werden die Three Lions und Hodgson nach dem Achtelfinal-Aus in der Heimat empfangen. „In Englands 144-jähriger Geschichte ist nichts mit dieser Schande vergleichbar. Nichts. Nach 959 Spielen war das die demütigendste Niederlage“, ätzte die „Times“ über „hirntoten Fußball“ beim 1:2. „Gegen ein Land von 330 000 Einwohnern, trainiert von einem Zahnarzt. England hat letzte Nacht aufgehört, ein Fußball-Team zu sein und ist nur noch eine Lachnummer.“

Dazu kommen noch Berichte über einen Riss zwischen Trainer und Team. Ältere Spieler sollen demnach während der EM das Vertrauen in die Entscheidungen von Hodgson verloren haben. Dies sei „komplett unwahr“, erklärte Kapitän Rooney kurz nach den Veröffentlichungen.

Nur 19 Minuten nach Vollendung des „erbärmlichen Scheiterns“ („Sun“) vollzog Hodgson noch in der Nacht zu Dienstag den unvermeidlichen Schritt und verkündete seinen „Brrrexit“ („Mirror“). Mit aschfahlem Gesicht setzte sich der 68-Jährige in den kargen Presseraum des EM-Stadions von Nizza, verlas 155 Sekunden lang monoton sein Rücktritts-Statement und ging sofort durch den Seiten-Ausgang. „Es tut mir leid, dass es so enden muss“, erklärte Hodgson - und kam seinem Rausschmiss damit lediglich zuvor. Widerwillig ließ er sich noch zu einem letzten Auftritt vor der Presse überzeugen.

Vorbei alles Gerede von einer vermeintlich leuchtenden Zukunft dieser jungen Generation. Vorbei die Träume von einem Ende des halben Jahrhunderts voller Schmerz ohne Titel. Nur zwei Jahre nach dem schmachvollen Vorrunden-Aus bei der WM in Brasilien ist jede Hoffnung erneut dahin. „Die schlimmste Niederlage unserer Geschichte. England wird von einem Land mit mehr Vulkanen als Profi-Fußballern geschlagen“, höhnte der Ex-Kapitän und heutige Experte Gary Lineker. Selbst das 0:1 gegen Fußball-Entwicklungsland USA bei der WM 1950 fällt in der Peinlichkeiten-Rangliste dahinter zurück.

Wie schon in den Vorrunden-Partien wusste die zweitjüngste Mannschaft des Turniers ihre Dominanz nicht zu nutzen und schied am Ende hilf-, kraft- und einfallslos völlig verdient aus. Seit mehr als einem Jahrzehnt wartet England nun auf einen Sieg in der K.o.-Runde eines großen Turniers. Noch nie haben die Three Lions außerhalb Englands ein EM-Endrunden-Match gewonnen, in dem es ums Weiterkommen ging.

Auch ein Versagen der Führungsspieler. Keeper Joe Hart wird im Internet für seinen Patzer vor dem entscheidenden Gegentor verlacht, Rooney konnte dem Offensivspiel nach seinem Foulelfmeter zum 1:0 keine dauerhafte Ordnung verleihen. „Es ist beschämend für uns. Wir sind alle bitter enttäuscht, wir wissen, dass wir die Verantwortung dafür tragen“, gestand der Kapitän. Im Gegensatz zu Hodgson will der 30-Jährige jedoch weiter machen und sein Team zur WM 2018 führen.

Doch mit welchem Coach? Die Nachfolge-Optionen klingen keinesfalls verlockend. Als Favorit wird U21-Coach Gareth Southgate gehandelt, dem jedoch die Erfahrung auf großer internationaler Bühne fehlt. Die restlichen Kandidaten sind eine Mischung aus Trainern mittelmäßiger bis schlechter englischer Clubs (Alan Pardew, Sam Allardyce), Ausländern über ihrem Zenit (Arsène Wenger, Rafael Benitez) oder TV-Experten, die sich selbst ins Gespräch brachten (Alan Shearer).

Bleiben Überraschungskandidaten. Eigentlich pocht der englische Verband auf Premier-League-Expertise an der Seitenlinie. Doch so verzweifelt wie die aktuelle Lage ist, wäre selbst ein Deutscher aus den gerne belächelten USA nicht undenkbar: Jürgen Klinsmann. „Ich rede nicht über Namen, aber wir werden den bestmöglichen Coach für England finden und nicht zwingend den besten Engländer für den Job“, sagte FA-Generalsekretär Martin Glenn.

Diese Schlagzeilen und Expertenmeinungen werden Rooney & Co. auch die nächsten Tage verfolgen. Nach einer kurzen Rückkehr ins EM-Quartier von Chantilly ging es in den Urlaub oder in die Heimat. Auf Milde dürfen sie nicht hoffen. „Der Grund, warum die Nation damit kämpft, Mitgefühl oder eine Verbindung zu vielen dieser Spieler aufzubauen, ist das Ego“, analysierte der „Independent“ und versah die Profis mit den Attributen: „Zu berühmt, zu wichtig, zu reich, zu arrogant.“