Euro 2016 Thomas Müllers EM-Einsatz blieb bislang torlos - aber das macht nichts
Evian-les-Bains. Thomas Müller hat es mit seinen 26 Jahren auf bisher 75 Länderspiele geschafft. Die formidable Anzahl von 32 Toren ist dabei herausgekommen, allein zehn bei 13 WM-Spielen.
Nur in seinen neun Europameisterschafts-Einsätzen, da steht die Null. Niemand käme deshalb auf die Idee, Herrn Müllers Abberufung zu fordern. Mesut Özil, Mario Götze oder Mario Gomez passiert das regelmäßig. Thomas Müller ist über jede Kritik erhaben. Warum eigentlich?
Sicher wegen seiner freundlichen, witzigen und spontanen Art. Man kann das auch Intelligenz nennen. Als er nach dem Gesundheitszustand Jerome Boatengs befragt wurde, antwortete er in Anspielung auf den DFB-Arzt: „Ich bin der Müller ohne Wohlfahrt.“
Witzig ist gut, bodenständig auch. Seit beinahe sieben Jahren ist Müller mit seiner Lisa verheiratet, kein It-Girl, kein Model, sondern eine Pferdezüchterin und Dressurreiterin. Müller ist frei von Skandalen und Tatoos — vor allem aber von Arroganz. In der Summe ergeben sich aus dieser Konstellation laut Manager Magazin vier Millionen Euro Werbeeinnahmen pro Jahr. Ob er trifft oder gerade nicht.
Im Quartier von Evian und an den Spielorten gibt sich Müller von seiner derzeitigen Pechsträhne völlig unbeeindruckt. „Ich kann sagen, dass es großen Spaß gemacht hat“, meinte er nach dem 3:0 über die Slowakei. „Es wird mir nicht geglaubt, aber ich mache meinen Zustand nicht an meinen eigenen Toren fest. Ich bin mit meinem Turnier und dem der Mannschaft zufriedener als Ihr es vielleicht denkt. Aber natürlich arbeite ich daran, dass es bald wieder scheppert.“
Arbeiten drückt es treffend aus. Mit 45,5 Kilometern hat Müller die höchste EM-Laufleistung im DFB-Team. Joachim Löw gerät nicht nur deshalb ins Schwärmen. „Maximal zufrieden“ sei er mit Müllers Leistung bisher, „weil er gerade auch gegen Nordirland oder zuletzt gegen die Slowakei Wege macht, die den Gegner immer wieder in Schwierigkeiten bringen und verwirren. Wege, die unserer Mannschaft mehrere Optionen offen lässt. Das macht ihn wertvoll für uns.“
Auf elf Torschüsse hat es Müller bisher gebracht, natürlich Bestwert im deutschen Team. Gegen Nordirland, bei diesem fast absurden Auslassen von Chancen, waren Pfosten und Latte dabei. Müller reflektiert genauer als er derzeit vor dem Tor abschließt. „Wir spielen schon noch ein Fußballspiel, der Gegner macht auch mit. Das heißt nicht, dass Überlegungen in der Theorie auch mühelos in den Realität funktionieren. Da macht nicht jeder das, was man erwartet oder was geplant war. Der Ball springt auch nicht immer in die Richtung, in die man will. Ein Fußballspiel ist mehr, als nur sich die Überlegungen zu machen.“
Diese relative Gelassenheit im Umgang mit nicht beeinflussbaren Faktoren hat ihn schon immer ausgezeichnet. Nicht die schlechteste Eigenschaft. Seinen Marktwert hat Müller mit der Mischung seiner sportlichen und persönlichen Kompetenzen seit seinem Profi-Debüt im Juli 2009 von 750.000 auf 75 Millionen Euro verhundertfacht. Selbstverständlich ist er damit der teuerste deutsche Spieler, und selbstverständlich wird Müller am Samstag gegen Italien von Beginn an spielen.
Mit einem EM-Torschützenkönig namens Müller — es wäre der dritte nach 1972 mit Gerd und 1976 mit Dieter — wird es höchstwahrscheinlich nichts mehr. Aber wer trifft, ist Müller schon immer egal gewesen.