Es müllert nicht: Abteilung Attacke in der Kritik
Évian-les Bains (dpa) - Kein Tor, kaum Gefahr - die Abteilung Attacke ist nach der tristen Nullnummer gegen Polen ins Fadenkreuz der Kritik geraten.
Der herausragende Abwehrchef Jérôme Boateng ging nach dem offensiv ernüchternden zweiten EM-Spiel des Fußball-Weltmeisters im Endspielstadion von Saint-Denis verbal in den Angriff über. „Wir kommen nicht am Gegner vorbei, werden nicht gefährlich. Wir haben kein Eins-zu-Eins-Duell in der Offensive gewonnen“, lautete das harte, aber ehrliche Urteil von Boateng.
Die mit Mario Götze, Thomas Müller, Mesut Özil und Julian Draxler besetzte Offensivreihe hatte schon gegen die Ukraine Lieferschwierigkeiten. „Vorne fehlte einfach was“, rügte auch Toni Kroos.
Erstmals seit dem Vorrunden-K.o. bei der Europameisterschaft 2004 in Portugal, als Rudi Völler noch DFB-Teamchef war, gab es kein Angreifertor in den ersten zwei Turnierspielen. Ein Alarmsignal!
Beim 2:0 gegen die Ukraine hatten Abwehrspieler Shkodran Mustafi nach einem Freistoß und der eingewechselte Kapitän Bastian Schweinsteiger nach einem Konter getroffen. „Es stört mich noch nicht einmal die Tatsache, dass ich noch kein EM-Tor geschossen habe, sondern eher, dass ich in den zwei Spielen keine wirkliche Tormöglichkeit mit dem Team erarbeiten konnte. Das ist das, woran man zu knabbern hat“, erklärte Müller in den Stadionkatakomben ratlos und verärgert.
Es müllert nicht! Auch damit lässt sich die triste Torlos-Lage vor dem entscheidenden letzten Gruppenspiel gegen Nordirland beschreiben. Bei seinen zwei WM-Turnieren traf der Bayern-Star jeweils fünfmal. Gleich zum Auftakt 2010 in Südafrika gegen Australien (4:0) war er erfolgreich. Und mit seinem Dreierpack gegen Portugal (4:0) sorgte der EM-„Bomber“ beim Triumph in Brasilien für eine Initialzündung. Müller war sofort im Turnier - in Frankreich nicht. Schon bei seinem EM-Debüt 2012 blieb er komplett torlos.
Joachim Löw musste einmal mehr das kritisieren, was er schon seit längerem moniert: „Unser Problem war das gesamte Spiel im letzten Drittel“, sagte der Bundestrainer. „Die letzten Pässe, die letzten Aktionen haben gefehlt. Häufig haben wir nicht das Tempo erhöht, sondern abgebrochen.“ Boateng bemängelte auch die Mentalität: „Wir müssen viel mehr in Laufwege investieren, aggressiver sein, mehr Zweikämpfe gewinnen.“ Tempo, Doppelpässe, Spielwitz - all' das fehlte.
In 90 Minuten erarbeitete sich der Weltmeister gerade zwei gute Möglichkeiten von Toni Kroos und Mesut Özil. „Die standen ja mit 20 Mann hinten“, klagte der Spielmacher. Özil fehlen geniale Momente, Müller Form, Götze Zug zum Tor und Draxler die Durchschlagskraft.
Löw setzte auch beim zweiten Turnierspiel auf die spielerische Stürmerlösung. „Von der Strategie her war klar, dass Mario Götze spielt. Gegen so eine Mannschaft musst du am Boden operieren, nicht mit hohen Bällen“, begründete Löw die Entscheidung für die „falsche Neun“ Götze und gegen die klassische, wuchtige Mittelstürmerlösung mit Mario Gomez. Dessen Einwechslung änderte wenig.
Die Mario-Debatte dürfte bis zum Nordirland-Spiel neu aufflammen. „Lassen wir ihn machen, er wird schon das Richtige tun“, sagte Gomez zur Schlüsselfrage für Löw. Fest steht für Torjäger Gomez: „Wir müssen vorne noch zielstrebiger, noch williger, noch bissiger sein.“
Müller vermisste vorne „den letzten zündenden Gedanken, das letzte Schnelligkeitsmoment“. Die Nationalmannschaft verfüge zudem nicht über „den Eins-gegen-Eins-Spieler, wie wir sie jetzt beim FC Bayern haben“, mit Robben, Ribéry, Costa oder Coman. „Den können wir in Deutschland jetzt nicht herzaubern“, bemerkte Müller. Schnelles Kombinationsspiel lautet sein Lösungsansatz. „Wir müssen schauen, dass wir zielstrebiger zum Tor kommen“, empfahl Götze. „Wir müssen auf Tempo kommen.“ Zeit wird's.