Fanforscher über Hooligans: „Spielverbot wäre das Höchste“

Würzburg (dpa) - Die Polizei in Frankreich hatte nach den Terroranschlägen vor der EM das Phänomen Hooligans nicht so richtig auf dem Schirm. Zudem resultierten die Krawalle am ersten EM-Wochenende nach Ansicht von Professor Harald Lange, Leiter des Instituts für Fankultur, eher aus Zufällen.

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Der Sportwissenschaftler von der Universität Würzburg sieht die Sicherheitskräfte vor Ort gut genau aufgestellt, um das Problem mit den Krawallmachern in den Griff zu bekommen. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur erklärt Lange die sozialen Unterschiede zwischen einem deutschen und einem osteuropäischen Hooligan.

Herr Lange, warum holt uns das Thema plötzlich wieder ein?

Professor Harald Lange: Die Polizei hat ihre Sicherheitsmaßnahmen auf etwas ganz anderes fokussiert, eine andere Gefahrenlage im Blick gehabt. Allerdings muss man relativierend sagen, trotz der Schwere einzelner Fälle, es ist noch überschaubar. Die Anzahl der beteiligten Personen, gerade auch aus Deutschland, wurde so zwischen 30 und 50 geschätzt. Nichtsdestotrotz ist die Infrastruktur an Polizisten da und kann ohne weiteres auch auf Hooligans angewendet werden. Ich gehe davon aus, dass man dieses Problem in den nächsten Tagen vollends in den Griff kriegen wird.

Wer gehört heute der Hooliganszene an?

Lange: Die klassische Hooliganszene, die wir in den Neunzigern hatten, ist überwunden. Dieses breite Phänomen, was auch an jedem Bundesligaspieltag zu sehen war, sie sprachen da immer von der dritten Halbzeit, ist Ende der Neunziger, Anfang 2000 mehr oder mehr versandet. Diese ganze Bewegung hat sich erneuert, neu formiert. Deshalb haben wir auch keine Daten, was ihre genaue soziale Herkunft ist. Aber es darf davon ausgegangen werden, dass das junge Menschen sind, die ganz gut dastehen im Alltag und nur des Prügelns wegen verreisen und solche Großereignisse nutzen, um auf Gleichgesinnte zu treffen.

Sind die Schläger aus Russland ähnlich strukturiert?

Lange: Das, was in Russland und auch in Polen sowie in Osteuropa passiert, ist noch mit dem Phänomen wie bei uns in den Achtzigern und Neunzigern zu vergleichen. Da kommen sie eher aus sozial benachteiligten Schichten, sind häufig von Arbeitslosigkeit betroffen und sehen den Fußball und das Prügeln innerhalb ihrer Hooligangruppe als Ausgleich, Anker und ein bisschen Selbstzufriedenheit an - auch, um Selbstvertrauen zu tanken.

Wie kommunizieren die Hooligans untereinander?

Lange: So weit ich informiert bin, gibt es bei der EM - zumindest gibt es noch keine Hinweise dafür - keine Pläne oder Verabredungen. Genau wie andere Gewalttäter mit Social Media arbeiten, ist dies auch in dieser Branche vollends verbreitet mit WhatsApp, Twitter, Facebook. Darüber tauschen sie sich aus und organisieren sich in ihren kleinen Gruppen, gerade auch in einer fremden Logistik.

Sind die Hooligans beim Nationalteam anders als in der Bundesliga?

Lange: Die sogenannten 'Fans' der Nationalmannschaft unterscheiden sich per se ganz deutlich von den Fans der Bundesliga- oder Zweitliga-Clubs. Sie werden von hartgesottenen Fans auch sehr belächelt, weil es eher Fans mit Eventinteressen sind.

Ist die Gewalt der deutschen Hooligans ab- oder ansteigend?

Lange: Die Zahl der Gewalttaten ist in der Summe zwar in den letzten Jahren angestiegen. Aber wenn man bedenkt, wie die Anzahl der Zuschauer gestiegen ist, kommt man im Schnitt auf einen leichten Rückgang an Fangewalt. Da ist man auf dem Niveau, dass man sagen kann: Pro Bundesligaspiel gibt es einen Verletzten durch Fangewalt.“

Die UEFA droht Russland und England mit Ausschluss. Ist das ein Mittel gegen die Hooligangewalt?

Lange: Das ist ja gerade die Motivation der Hooligans. Das wäre der allergrößte Erfolg für die Hooligangruppen, wenn die so etwas hinkriegen würden. Man muss aber differenzieren, wenn es Hooligans sind, die nur wegen der Gewalt hinkommen. Bei den Engländern und Russen waren ja auch mehr Menschen betroffen beziehungsweise mehr Gewalttäter sichtbar - auch im Stadion. Da vermischen sich die Grenzen zwischen Krawallmachern, die extra wegen des Events hinfahren, und der Vermutung, dass es auch ganz 'normale Fans' sind, die einfach mitmachen, wenn sich die Gelegenheit zum Krawall machen bietet. Ein Spielverbot wäre für diejenigen, die nur an Krawallen interessiert sind, natürlich das Höchste, was sie erreichen können. Dann fühlen sie sich bestätigt, wir haben Einfluss, wie können die Geschicke lenken und es kaputt machen.

INFO ZUR PERSON:

Prof. Dr. Harald Lange, 48 Jahre und Vater von zwei überaus sportlichen Töchtern. Er ist Inhaber des Lehrstuhls für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg, leitet das Institut für Sportwissenschaft sowie den Arbeitsbereich Bildung und Bewegung. Zusätzlich ist Lange Leiter des Instituts für Fankultur e.V. Würzburg & Frankfurt. Er ist Autor und Mitherausgeber von mehr als 250 wissenschaftlichen Publikationen, darunter 50 Bücher und Sammelbände.