Frust im Oranje-Land - kein böses Wort über Deutsche

Kerkrade (dpa) - Die EM-Niederlage gegen Deutschland ist für viele Niederländer ein Schock. Aber die alten Ressentiments, die früher bei diesen Gelegenheiten hochzukommen pflegten - die gibt es so nicht mehr.

Noch nicht einmal auf der früher so berüchtigten Nieuwstraat in Kerkrade.

Aus. Vorbei. Holland ist geschlagen. Kurz vor der Halbzeit gehen am Mittwochabend die ersten nach Hause. Tieftraurig - nicht ansprechbar. „Die Deutschen haben auch zehn Jahre gebraucht, bis sie soweit waren und Fußball spielen wie jetzt“, tröstet sich Frank Geisen. Der Niederländer hat das EM-Spiel in einer Kneipe in Kerkrade verfolgt, direkt an der deutschen Grenze bei Aachen.

Am Donnerstag herrscht Katerstimmung. Wenn ein eher kleines Land wie die Niederlande im Fußball groß ist und dann ein wichtiges Spiel verliert, dann ist das etwas ganz anderes als in einem großen Land, das sich seine eigene Bedeutung nicht immer wieder bestätigen muss. Eine Europameisterschaft kann die Niederländer zusammenschweißen: An der Supermarktkasse spricht man plötzlich mit Fremden. Und wenn Oranje dann ausscheidet, ist dieses Zusammengehörigkeitsgefühl vom einen auf den anderen Tag weg. Zwar gibt es für Holland immer noch eine kleine Chance, weiterzukommen. Aber das ist nach allgemeiner Einschätzung nicht mehr als ein Strohhalm.

Die Zeitungen sprechen an diesem Morgen eine deutliche Sprache: „In der Bratpfanne von Charkow fiel Oranje auseinander wie ein zu lang geschmorter Braten“, schreibt „De Volkskrant“. „Deutschland war eine verbesserte Ausgabe dessen, was die Niederlande einmal waren.“ Das ist es, was die Last für viele noch schwerer macht. Früher konnte man als Niederländer wenigstens sagen: „Ok, die Deutschen haben gewonnen. Aber dafür spielen wir den schöneren Fußball.“ Jetzt gewinnen die Deutschen - wie meistens - und das auch noch schön.

„Was ist nur mit dem Deutschen-Hass geschehen?“, titelte diese Woche „De Volkskrant“. Diesen alten Hass, der teilweise noch aus dem Krieg stammte, den gibt es so nicht mehr. Undenkbar, dass ein Oranje-Spieler heute noch einem Deutschen in die Dauerwelle spucken oder sich mit dessen Shirt den Hintern abwischen würde. Stattdessen sah man diesmal nach dem Abpfiff deutsche Nationalspieler, die ihre niederländischen Vereinskameraden umarmten und ihnen Trost spendeten.

In Kerkrade gibt es eine Straße, die fast genau entlang der Grenze verläuft. Auf der einen Seite heißt sie Nieuwstraat, auf der anderen Neustraße. Früher reisten bei Holland-Spielen immer Hooligans an, um Randale zu machen. Deshalb hatte Kerkrade auch diesmal eigens eine Notverordnung erlassen und die Straße eine Viertelstunde vor Spielende abgeriegelt. Aber alles blieb friedlich.

Die Deutschen Ursula und Fritz Kohlbau wohnen schon 13 Jahre in Kerkrade. Am Mittwochabend konnte man sie mit Deutschland-Trikots und schwarz-rot-goldenem Kopfputz an einem Pulk Oranjes vorbeigehen sehen. „Wir haben zwei Fahnen im Fenster hängen: Eine deutsche und eine niederländische“, sagt Fritz Kohlbau. Zum Fernsehen sind sie dann allerdings doch einmal über die Straße gegangen - nach Deutschland. Zu einem Freund. Und nicht in die Kneipe, wo sowieso nur Niederländer hocken. Wie sollte man auch unter einem solchen Druck noch ausgelassen jubeln? Das ginge - bei aller Freundschaft - dann doch zu weit.