Hodgson wird zu Englands „Gute-Laune-Onkel“
Krakau (dpa) - Englands Fußballern kann vor dem zweiten EM-Spiel am Freitag gegen Schweden fast nichts die Laune verderben. Trotz des nasskalten Wetters am Mittwochmittag war die Stimmung beim Training im Stadion Hutnik im polnischen Krakau prächtig.
Daran änderte sich auch nichts, als im verletzungsanfälligen Ashley Cole nach nur wenigen Minuten ein weiterer Stammspieler angeschlagen von einem Physiotherapeuten vom Feld geleitet wurde. Auch dass Verteidiger Martin Kelly wegen einer Virusinfektion gar nicht erst dabei war, störte die lockere Atmosphäre nicht. Der neue Nationalcoach Roy Hodgson tut wirklich alles, um seinen Kader bei Laune zu halten.
„Der Trainer und die Betreuer haben in der Vorbereitung wirklich tolle Arbeit geleistet“, lobte Arsenals Theo Walcott Hodgsons Arbeit. Nach dem 1:1 zum Auftakt gegen Frankreich funktionierte der 64-Jährige Englands EM-Quartier kurzerhand in eine Art Freizeitpark mit Wellnessbereich um. Ein bisschen Planschen im Kellerpool des massiven Hotelgewölbes, Herumalbern beim Tischtennis oder Zerstreuung bei Darts und Snooker - Hodgson ließ Wayne Rooney, Steven Gerrard und Co. bei der Regeneration die freie Wahl. „Die Jungs haben die ganze Zeit Tischtennis, Playstation und Snooker gespielt - das ist alles da“, berichtete Walcott über die willkommene Abwechslung.
Belohnung war dies für das nicht immer ansehnliche - teilweise erinnerte England an den destruktiven FC Chelsea in der Champions League - aber letztlich erfolgreiche Spiel gegen Frankreich. „Roy's Boys bringen Kritiker zum Schweigen“ hatte die „Sun“ sogleich über die Überraschung zum Auftakt getitelt.
Auf der Insel hatten die Experten, Fans und Medien vor der EM kaum Erwartungen an das englische Team, aber Hodgson hat mal wieder alle verblüfft. Wenn kaum jemand etwas von seinen Teams erwartet, dreht der erfahrene Gentleman so richtig auf. So war es einst 1994 mit der Schweiz, die Hodgson zum ersten Mal seit 28 Jahren wieder zu einer WM führte. So war es mit dem FC Fulham, der 2010 bis ins Finale der Europa League vordrang und so war es mit West Bromwich Albion, die Hodgson in deren zweiten Premier-League-Saison in Folge in diesem Jahr im gesicherten Mittelfeld etablierte.
Und so war es zumindest im ersten EM-Spiel mit seinem dezimierten englischen Team gegen hoch eingeschätzte Franzosen. „Roy Hodgson kann wirklich sehr zufrieden damit sein, dem Gruppenfavoriten einen Punkt abgerungen zu haben“, lobte gar einer von Hodgsons Vorgängern, der Schwede Sven-Göran Eriksson. Der charmante, oft verschmitzt lächelnde Hodgson wurde erst Anfang Mai dem favorisierten Harry Redknapp überraschend vorgezogen. Seitdem ist die Stimmung im Kader wieder locker und gelöst. „Die Stimmung in der Truppe ist wirklich überragend“, erzählte Torhüter Joe Hart.
Kurz nach seiner Amtsübernahme verblüffte Hodgson die Spieler in zahlreichen Einzelgesprächen mit Interesse an deren Privatleben und vorab eingeholten Informationen über deren Familien. Vorgänger Fabio Capello soll kaum mit den Spielern gesprochen und großen Wert auf eiserne Disziplin gelegt haben. Hodgson lockerte die Regeln, sorgt für gute Laune, lässt aber intensiver trainieren. Immer wieder studiert er bei Übungseinheiten hinter verschlossenen Türen seine Defensivtaktik bis ins letzte Detail ein. Mit Erfolg. Schon vor dem 1:1 gegen Frankreich gab es in den ersten beiden Partien unter seiner Regie zwei minimalistische 1:0-Siege gegen Norwegen und Belgien.