Löw in der Stürmer-Werkstatt - Müller als Gomez-Ersatz?
Évian-les Bains (dpa) - Joachim Löw traf den Ball perfekt. Der Schuss des früheren Stürmers aus 35 Metern segelte mitten ins Tor. Anders als beim Training zuvor in Évian-les Bains kann der Bundestrainer das Toreschießen im Halbfinal-Klassiker gegen Frankreich nicht selbst übernehmen.
Der 56-Jährige muss nach dem Ausfall des deutschen EM-Rekordtorschützen Mario Gomez die Antwort auf die zentrale Fußballfrage finden: Wer soll die Tore schießen und damit den Weltmeister ins Endspiel am Sonntag in Paris befördern?
Thomas Müller lautet die programmierte Lösung für den Platz im Angriffszentrum. WM-Finalheld Mario Götze wäre am Donnerstag (21.00 Uhr) in Marseille eine ganz andere Variante als Ersatz für den wuchtigen Modellathleten Gomez in der Angriffsmitte. „Falls ich da auflaufe, werde ich mich genauso in die Zweikämpfe reinhauen, genauso auf den ersten Pfosten laufen, wie es eben von einem Stürmer verlangt wird“, versprach Müller schon einmal am Tag vor der Abreise aus Évian.
Nach insgesamt zehn EM-Spielen ohne eigenen Treffer soll die Torbilanz endlich aufpoliert werden. „Tore sind nicht mein Benzin, eher der Lack auf dem Auto, der Speziallack, der nach außen gut aussieht“, erklärte Müller in wunderschöner Bildsprache. „Mein Benzin ist mein Antrieb nach Erfolg. Mein Antrieb ist es, mit der Mannschaft etwas Großes zu leisten.“ Als Weltmeister will der 26-Jährige jetzt auch als Europameister triumphieren.
Die Gier ist Dauerläufer Müller auf jedem seiner vielen Kilometer in den EM-Stadien anzusehen. Müller ackert ohne Ende, aber im Abschluss klappt irgendwie nichts. Chancen vergeben, Elfmeter verballert, selbst seine ersten drei Schüsse im Training am Dienstag setzte er vorbei oder drüber.
Die Situation um Müller spitze sich zu, „um dann zu explodieren“, sagte Oliver Bierhoff. Mit einem Augenzwinkern fügte der Manager hinzu: „Thomas hat halt genug Erfahrung, um das Pulver noch nicht am Anfang zu verschießen.“ Gut drauf sei der Bayern-Star nach wie vor, schilderte Bierhoff. „Ich habe im Duden nachgeschlagen: Bei Lockerheit steht Thomas Müller mit einem Foto von ihm.“
Müller müsse halt in jedem Spiel 90 Minuten dranbleiben, führte der einstige Torjäger Bierhoff aus. Wie bestellt kam da gut gelaunt Müller auf das DFB-Podium. „Jetzt sind es aber schon mehr als 90 Minuten, die ich dran bleiben muss“, witzelte Müller.
Die Minutenzählerei geht Müller trotz seiner flotten Sprüche auf den Keks. „Ein Tor würde mir Ruhe geben, dann hätte ich keine Fragen dazu mehr zu beantworten“, sagte der WM-Torschützenkönig von 2010. „Aber in Südafrika sind wir ausgeschieden und nach Hause geflogen. Brasilien war um ein zigfaches schöner und werthaltiger für Verband und Land.“ Müller war mit fünf Toren bei der WM 2014 die Nummer 1 im Team, vor André Schürrle (3). Vom früheren Superjoker war in Frankreich bei drei Einsätzen nichts zu sehen.
In Frankreich erzielte Gomez zwei Tore. Die Offensivkollegen Mesut Özil und Julian Draxler trafen je einmal. Die „Abteilung Attacke“ tritt bei dieser EM so zurückhaltend wie lange nicht mehr auf. Bei der EM 2012 freute sich Löw über sieben Tore der Angriffsfraktion. 13 Tore glückten diesem Mannschaftsteil bei der WM 2010. Und bei der EM 2008 ging nur ein Tor auf das Konto eines Abwehrmannes.
Jetzt fehlt auch noch Gomez. „Man sollte nicht den Fehler machen zu sagen, es geht nicht ohne klassische Neun. Es macht es gerade im Offensivbereich für die Trainer besser, dass sie viele Varianten haben“, meinte Bierhoff. „Die verschiedenen Varianten sind kein Geheimnis. Mario Götze hat sich unglaublich engagiert, hat sich reingekämpft, viele Laufwege gemacht. Thomas Müller ist es eigentlich egal, ob er ein Tor schießt oder nicht. Er will nur den Sieg, und dafür macht er alles.“ Am besten sei eben auch ein Tor. Löw glaubt an den WM-Bomber. „Ich habe das Gefühl: Wenn es wirklich ein Tor braucht, dass er dann eins macht“, sagte der Bundestrainer.