Löw stützt Schweinsteiger: Bleibt für mich Kapitän
Lille (dpa) - Joachim Löw ist ein gewiefter Taktiker, auch bei der sensiblen Führung des Fußball-Weltmeisters.
Kurz vor dem EM-Start der deutschen Nationalmannschaft versuchte der Bundestrainer, mit einem Bekenntnis zu Bastian Schweinsteiger als Führungskraft auf und neben dem Platz Brisanz aus dem öffentlichkeitswirksamen Kapitänsthema zu nehmen. „Bastian Schweinsteiger bleibt für mich Kapitän, weil ich weiß, dass er im Laufe des Turniers auf jeden Fall zum Einsatz kommen wird. Von daher gibt es keine Änderung“, sagte Löw vor dem Auftaktspiel des Mitfavoriten am Sonntagabend in Lille.
Noch bei der Abschlusspressekonferenz im Stade Pierre Mauroy hatte Löw offen gelassen, wer die deutsche Elf gegen die Ukraine auf das Spielfeld führen werde. „Wer Kapitän wird, werde ich der Mannschaft am Spieltag in der Sitzung mitteilen“, verkündete Löw staatsmännisch zum Prozedere. Die Binde erhielt Torhüter Manuel Neuer, der neben Mittelfeldspieler Sami Khedira in den vergangenen zwei Jahren am häufigsten Schweinsteiger bei dessen Abwesenheit vertreten hatte.
Der 115-malige Nationalspieler Schweinsteiger konnte sich nach zwei Knieverletzungen im EM-Jahr zwar in der Turniervorbereitung wieder ans Team herankämpfen. Bei der Generalprobe gegen Ungarn (2:0) gab er ein kurzes Comeback, räumte seinen Rückstand mit Blick auf einen EM-Einsatz aber auch ehrlich ein. „25 Minuten, eine halbe Stunde, auch eine Halbzeit könnte schon gehen“ - aber mehr eben noch nicht.
Löw schätzt diesen Realismus und Mannschaftsgeist des 31 Jahre alten Mittelfeldspielers, der seine herausgehobene Position als Kapitän nicht zu forschen Forderungen missbraucht. Der Bundestrainer verwies in Lille extra auf einen größeren Spielerkreis für die Vertretung von Schweinsteiger. „Für mich sind vier, fünf Spieler die wichtigen Ansprechpartner in der Mannschaft“, sagte Löw: „Dazu zählen Manuel Neuer, Sami Khedira, Mats Hummels, Jérôme Boateng, Toni Kroos und einige andere natürlich auch noch.“ Thomas Müller fügte er nach kurzem Nachdenken noch hinzu.
Die Aufgezählten hätten „alle irgendwie die gleiche Wertschätzung“ bei ihm. „Daher spielt es für mich eigentlich keine Rolle, wer Bastian Schweinsteiger mal vertritt.“ Löw deutete mit seinen Aussagen an, dass er - solange Schweinsteiger kein Startelfspieler ist - bei der EM in Frankreich sogar eine Kapitänsrotation einführen könnte.
Löw hatte Schweinsteiger vor zwei Jahren zunächst zeitlich befristet bis zur Europameisterschaft zum Nachfolger von Philipp Lahm ernannt. Der Bayern-Profi hatte das Amt seit der WM 2010 in Südafrika inne gehabt. Lahm beendete seine Karriere als Nationalspieler nach dem Gewinn des WM-Titels in Brasilien. Schweinsteiger übernahm, konnte das Team aber aus Verletzungsgründen nur selten als Kapitän führen.
In den knapp zwei Jahren seit seiner Beförderung vertraten ihn Neuer (9 Mal) und Mittelfeldmann Khedira (4) regelmäßig bei Länderspielen. Auch in den EM-Testspielen gegen die Slowakei (Khedira) und Ungarn (Neuer) wechselten sich die beiden Weltmeister ab. Beim 4:1 im Testspiel gegen Italien Ende März in München hatte zudem erstmals Thomas Müller die Ehre, den Weltmeister anzuführen.
„Für uns spielt es keine große Rolle, wer die Binde tragen wird“, hatte der 30-jährige Neuer vor dem Ukraine-Spiele erklärt. Es herrsche ohnehin eine „flache Hierarchie“ im Nationalteam. Auch der geborene Anführer Khedira vermied es, öffentlich um das schwarz-rot-goldene Stückchen Stoff zu buhlen. „Meine persönliche Rolle hat sich im Gegensatz zu den Turnieren 2012 und 2014 überhaupt nicht verändert“, sagte der 29-Jährige: „Ich werde versuchen, die Mannschaft auf und neben dem Platz mit zu führen.“
Wertschätzung und Ehre bedeutet die prestigeträchtige Kapitänsrolle dennoch für jeden Auserwählten. Ein Blick auf die Liste der deutschen Turnierkapitäne dokumentiert den besonderen Stellenwert. Von Fritz Walter, dem Anführer der ersten deutschen Weltmeistermannschaft beim Wunder von Bern 1954, über Uwe Seeler, Franz Beckenbauer, Berti Vogts, Karl-Heinz Rummenigge, Lothar Matthäus, Jürgen Klinsmann, Oliver Kahn und Michael Ballack bis hin zu Lahm beim letzten deutschen WM-Triumph 2014 in Brasilien reicht die Ehrentafel.
Löw hat auch dem so verdienstvollen Finalhelden Schweinsteiger die Option erhalten, seine schillernde Länderspiel-Karriere mit einem historischen Foto abzurunden. Am 10. Juli, nach dem EM-Finale im Stade de France, könnte er den Siegerpokal in Empfang nehmen.