Löw zurück im Stade de France: Fokus auf Polen
Paris (dpa) - Bei der Fahrt zum Stade de France im dunklen Kleinbus kamen bei Joachim Löw noch einmal kurz „einige Erinnerungen“ hoch. Vor sieben Monaten hatte der Bundestrainer mit seinem Team beim Freundschaftsspiel gegen Frankreich an gleicher Stätte den Terror hautnah gespürt.
Auf der Pressekonferenz vor dem EM-Spiel des Fußball-Nationalteams am Donnerstag wirkte der 56 Jahre alte Löw schon wieder voll konzentriert auf die neue Aufgabe: „Ich fühle mich hier sicher und freue mich auf das Spiel.“
Der Rückblick auf die schrecklichen Ereignisse am 13. November des Vorjahres in Paris und der Dauerkontrahent Polen machen Deutschlands zweiten EM-Auftritt zu einem ganz speziellen Match für Löw und seine Weltmeister. Nach den Anschlägen vor dem Stadion und in der Stadt hatte der komplette DFB-Tross die Nacht in den Katakomben verbracht. „Ich hatte nicht das Gefühl, dass sich jemand unsicher fühlt. Der ganze Fokus ist auf morgen ausgerichtet. Es war nicht mehr notwendig, mit der Mannschaft das Sicherheitsthema zu besprechen“, betonte Löw.
„Es war immer schwer gegen Polen“, lenkte der DFB-Chefcoach alle Konzentration auf den kommenden Gegner, der mit einem mühevollen 1:0 gegen Nordirland ins Turnier gestartet war. „Die Mannschaft ist sehr ausgeglichen und eingespielt. Die Spieler haben viel Erfahrung“, sagte Löw über die Polen. Und viele Akteure würden aus der Bundesliga ihre deutschen Kontrahenten „aus dem Effeff kennen“. Topstar Robert Lewandowski spielt mit vielen Weltmeistern in München zusammen.
„Wenn man gegeneinander spielt, gerät man mal aneinander“, sagte der deutsche Abwehrchef Jérôme Boateng zum Duell mit seinem Star-Kollegen: „Im Training bei den Bayern ist es auch so, dass es mal scheppert. Wir wollen beide für unser Land das Beste geben, insgesamt aber läuft es fair ab.“ Die guten Ansätze aus dem 2:0-Erfolg gegen die Ukraine sollen Sicherheit bringen. Doch noch ist das Teamgebilde in der Entwicklung. „Gegen Polen wird es definitiv ein anderes Spiel, wir fangen wieder bei Null an“, betonte Offensivspitze Mario Götze.
Auf dem Weg zum angestrebten vierten EM-Titel haben die besten deutschen Fußballer gegen die polnische Elf gleich mehrere Aufgaben zu erfüllen. Mit dem zweiten Sieg soll nicht nur das Achtelfinale fest gebucht werden. Der Bundestrainer möchte zugleich Verbesserungen bei der taktischen und spielerischen Entwicklung des Teams, in der Entschlossenheit und bei einzelnen Akteuren sehen. „Es wird wichtig für den weiteren Gruppenverlauf“, betonte er - den 25. deutschen Sieg bei einer EM-Runde vor Augen.
In der Qualifikation für die EM-Endrunde hatten sich die frisch gekürten Weltmeister in Warschau blamiert (0:2). Es war die einzige Niederlage in 20 Länderspielen gegen die Osteuropäer. Als „größte Stärke“ der Polen hat Löw ausgemacht, „dass sie eine organisierte Mannschaft sind und schnell kontern können. Das machen sie noch besser als die Ukraine“ mit variablen und schnellen Spielern.
„Die Euphorie im Land ist groß. Sie wollen auf jeden Fall mehr als die Vorrunde erreichen“, berichtete der gebürtige Pole Lukas Podolski von Gesprächen mit Freunden und seiner Familie im Nachbarland. Doch der Turnier-Veteran, im aktuellen Duell mit Polen nur Ersatzmann, sagte auch: „Jetzt wird es schwer, wenn sie auf Deutschland treffen.“
Die grundlegende Struktur hat Löws Ensemble nach einer sehr wackligen ersten Halbzeit gegen die Ukraine gefunden. So wird der Bundestrainer wie bei allen seinen bisherigen Turnieren seit 2006 wohl auch diesmal den Auftakt-Gewinnern vertrauen. „Es gibt wenig Gründe, eine Mannschaft zu verändern, die drei Tage zuvor klar gewonnen hat“, bemerkte der DFB-Chefcoach am Mittwoch, wollte sich aber nicht festlegen. Auch der gegen die Ukraine wegen seiner Wadenverletzung noch fehlende Mats Hummels ist eine Startelf-Alternative.
Löw will erst nach nochmaliger Rücksprache mit der medizinischen Abteilung und mit dem Spieler selbst über eine mögliche Rückkehr von Hummels in die Startelf entscheiden. „Sollte er noch irgendwelche kleine Beschwerden haben, geht man im zweiten Spiel nicht das Risiko ein“, erklärte der Bundestrainer. Allerdings habe der 27 Jahre alte Hummels im Training bisher „der Belastung standgehalten“ und „sich gut gefühlt“, ergänzte Löw. Vielleicht wartet Löw noch und gibt Shkodran Mustafi, der gegen die Ukraine seine Aufgabe erfüllte und auch noch ein Tor köpfte, ein weiteres Spiel.
Ob mit Hummels oder Mustafi und unabhängig von der Einsatzzeit von Kurzzeitarbeiter Bastian Schweinsteiger, Fakt ist: „Wir müssen uns steigern“, unterstrich Mittelfeldlenker Sami Khedira: „Ein Turnier ist ein Marathon, kein Sprint.“ Den Verbesserungsbedarf hat Löw deutlich benannt: Besser zum Abschluss kommen, zielstrebiger angreifen, den letzten Pass zeitiger spielen. Dazu muss sein Team „in der Raumaufteilung besser sein, wir haben einige Bälle verloren im Vorwärtsgang“, sagte Löw vor seinem 13. EM-Match.
Den nach zwei Knieverletzungen weiter um hundert Prozent Fitness ringenden Bastian Schweinsteiger hat Löw wieder als Teilzeitkraft eingeplant. „Bei ihm spürt man jeden Tag, das er immer wieder kleine Fortschritte macht“, sagte der Freiburger. „Er sprüht jetzt vor Energie, hat aber noch nicht die Kraft für 90 Minuten.“