EM Bei Hummels gilt: Kein Risiko
Mit ausgesprochenem Respekt voreinander treffen Deutschland und Polen an diesem Donnerstag (21 Uhr, live im ZDF) im zweiten EM-Gruppenspiel aufeinander. Die Polen müssen auf ihre Nummer eins im Tor, Wojciech Szczesny, verzichten. Kein Grund für Bundestrainer Joachim Löw und die DFB-Elf, sich in Sicherheit wiegen zu lassen.
Saint Denis. „Es wird nicht leicht. Unsere Mannschaft macht Fortschritte, aber sie lernt immer noch“, wollte sich Adam Nawalka nicht zu weit vorwagen, aber unter dem Strich besiegte das Selbstbewusstsein dann doch die Ehrfurcht. „Wir haben großen Respekt vor Deutschland, aber keine Angst“, sagte Polens Nationaltrainer am Mittwoch in Saint Denis. Auch Jakub Blaszczykowski gab sich selbstbewusst: „Wir haben auch unsere Stärken.“ Davon ist Sami Khedira zweifelsohne überzeugt: Den Fehler, die Polen auf Stürmer Robert Lewandowski zu reduzieren, „machen wir definitiv nicht. Auch seine Mitspieler haben großes Potenzial. Wir haben öfter gegen sie gespielt und wissen, dass sie immer für eine Überraschung gut sind.“ Nun ist die Frage: Kann Deutschland vielleicht auch die Polen überraschen?
Diese Entscheidung wird vielleicht erst am Spieltag fallen. Hummels habe zuletzt zweimal mit der Mannschaft trainiert. „Allerdings waren es keine allzu langen Einheiten“, sagte Löw, der die Eindrücke vom Abschlusstraining abwarten wollte — auch die des 27-Jährigen selbst, der am Mittwochabend mit den Kollegen beim Aufwärmen durch das Stade de France trabte und danach im öffentlichen Teil der Einheit ein paar Pässe spielte. „Eine Prognose gibt es erst nach dem Abschlusstraining“, sagte Löw, stellte aber fest: „Wenn er sich nicht 100-prozentig fit fühlt, gehe ich im zweiten Spiel eines Turniers auf keinen Fall ein Risiko ein.“
Da ließ sich Löw noch nicht in die Karten schauen. „Beides würde sehr gut passen gegen Polen“, sagte der Bundestrainer, der Götze im ersten Spiel nicht so schlecht sah wie einige Kritiken ausfielen. Der Münchner, der gegen die Ukraine viele Meter machte, aber nicht zum Abschluss kam, habe als kleiner, wendiger Spieler seine Vorzüge, zum Beispiel als Anspielstation und Ballverteiler in der Offensive, wenn das Angriffsspiel durch die Mitte laufen soll. Gomez könne seine körperliche Präsenz indes bei intensivem Spiel über die Flügel einbringen und sei „im Training in guter Form“ gewesen. „Beide haben ihren Wert und ihre Qualität“, sagte Löw und will seine Entscheidung „manchmal auch vom Bauchgefühl“ abhängig machen. Wo der Bundestrainer die größeren Chancen sieht, den Polen gefährlich zu werden, sagte er freilich nicht.
Im linken Mittelfeld zeigte Julian Draxler beim Auftaktsieg gegen die Ukraine nicht sein ganzes Können. Sein Wolfsburger Kollege André Schürrle gab nach seiner Einwechslung ordentlich Gas. Vielleicht hat auch Lukas Podolski eine Außenseiterchance, wenn Löw ein Überraschungsmoment ins Spiel einbauen will. Rechtsverteidiger Benedikt Höwedes ist zwar nicht der Schnellste, scheint aber bei Löw gesetzt und gegen Polen dürfte der Bundestrainer keine Defensiv-Experimente a la Joshua Kimmich wagen. „Es gibt keinen Grund etwas zu ändern, wenn die Mannschaft drei Tage vorher gut spielt und klar gewinnt“, deutete Löw an, wollte aber Wechsel auch nicht generell ausschließen.
Für den 27. der Weltrangliste ist es die vierte EM-Teilnahme der Geschichte. Die Qualifikation schlossen die Weiß-Roten einen Punkt hinter Deutschland und drei Punkte vor den Iren als unumstrittener Zweiter ab — und feierten dabei im Oktober 2014 beim 2:0 den historischen ersten Sieg gegen Deutschland. „Das hat uns Selbstvertrauen beschert und den Mannschaftsgeist gestärkt“, hofft Blaszczykowski auf eine Wiederholung des Ergebnisses aus Warschau. Auch wenn er zum Auftakt noch nicht traf: Robert Lewandowski wird eine dauerhafte Gefahr für die deutsche Abwehr sein. Die Qualitäten von Sturmkollege Arkadiusz Milik sind ebenfalls nicht zu unterschätzen. Für Löw sind die Polen „eine der stärksten Mannschaften im Konter, die ich die letzten zwei Jahre gesehen habe“. Fehlen wird deren Stammtorwart Wojciech Szczesny wegen den Folgen eines Blutergusses. Für dessen Rückkehr „hoffen wir auf das Spiel gegen die Ukraine“, sagte Nawalka. Lukasz Piszczek äußerte seine Achtung vor der deutschen Offensive und dem Umschaltspiel: „Wir dürfen uns nicht überraschen lassen“, sagte der Dortmunder, im DFB-Team einige bekannte Gesichter wiedersieht. „Ich bin froh, dass ich Freunde in der deutschen Mannschaft habe. Aber morgen werden sie keine Freunde sein.“
20 Begegnungen hat es zwischen Deutschland und Polen schon gegeben, 13-mal gewann die DFB-Elf, sechsmal spielte sie Unentschieden und nur einmal verlor sie. Das letzte Aufeinandertreffen gab es am 4. September 2015, als Deutschland in der EM-Qualifikation in Frankfurt mit 3:1 gewann. Die Tore schossen Mario Götze (2) und Thomas Müller.
Im vorgezogenen Duell um den Gruppensieg dürfte es den Polen gelegen kommen, dass die DFB-Elf das Spiel gestalten wird und nicht nur auf defensive Spielzerstörung aus ist wie Auftaktgegner Nordirland. Legen die Polen das Spiel offener an und sind nicht nur auf Sicherheit gegen den Weltmeister aus, kann es ein offener Schlagabtausch werden — womöglich mit einem knapp besseren Ende für Deutschland.