Löws Mittelfeld-Aufgabe: Triumvirat oder Strategen-Duo
Paris (dpa) - Die Alternativen von Joachim Löw für das Herzstück seines Teams sind exzellent. Vor dem zweiten EM-Auftritt weiß der Bundestrainer, dass er mit Champions-League-Sieger Toni Kroos und Juve-Stabilisator Sami Khedira zwei Top-Spieler in guter Verfassung ins Rennen schicken kann.
Zudem hat sich Kapitän Bastian Schweinsteiger zum Turnier-Auftakt für weitere Einsätze auf seiner angestammten Chef-Position zurückgemeldet. Nach der starken Belastung habe man eine „gewisse Müdigkeit“ bemerkt, sagte Löw. „Jetzt sprüht er wieder vor Energie. Er hat noch nicht die Kraft für 90 Minuten, aber man hat im Training das Gefühl, dass er mittendrin ist.“ Man spüre jeden Tag, dass Schweinsteiger körperliche Fortschritte mache. Beim Abschlusstraining im Stade de France kam der Kapitän als einer letzten Spieler im neongrünen Sportshirt aus der Kabine.
Auf dem Weg zum angestrebten EM-Triumph können die Möglichkeiten in der so wichtigen Schaltzentrale - wie schon beim WM-Sieg vor zwei Jahren bei der WM in Brasilien - noch zu einem großen Trumpf werden. „Wir brauchen in der gesamten Mannschaft gewisse Eckpfeiler, die die Mannschaft tragen, die Persönlichkeit haben, die auf und neben dem Platz die Mannschaft positiv beeinflussen“, hob Löw hervor. Die Spielweise sei in diesem Mannschaftsteil letztlich unabhängig von den Personen, sagte Khedira vor dem Abschlusstraining.
Nach seinem spektakulärem Tor beim Kurz-Comeback beim 2:0 gegen die Ukraine ist für den 116-maligen Fußball-Nationalspieler Schweinsteiger am Donnerstag beim Gruppenfinale gegen Polen aber erst einmal weiter die Rolle als Teilzeitkraft vorgesehen.
Doch schon bald muss des Bundestrainer abwägen: Setzt er wie in Brasilien im Viertelfinale gegen Frankreich und beim historischen Halbfinal-Tag gegen Brasilien auf das komplette Trio. Dann müsste er auf Özil, Müller, Draxler oder Götze in der Offensive verzichten? Auch im WM-Finale hätte Löw am liebsten seinem Triumvirat Schweinsteiger, Kroos und Khedira vertraut. Aber die Verletzung Khediras durchkreuzte damals diesen Plan.
Kroos, Mann für die Standards und seit seinem Wechsel vom FC Bayern zu Real Madrid noch weiter gereift, spielte in Frankreich gleich zum Auftakt in bemerkenswerter Form auf. „Alle von Real Madrid sind mit einem guten Gefühl zur EM fahren. Mit Selbstvertrauen, das du hast als Champions-League-Sieger“, erklärte der 26-Jährige, der neben Präzision und Übersicht auf dem Feld mit gefährlichen Standards glänzte. „Es ist ein Fixpunkt für die Mannschaft“, hob Löw hervor und sprach von einem „Reifeprozess“ beim gebürtigen Greifswalder. „Er spielt regelmäßig bei Real Madrid, hat keine Verletzungen und hat all' die Qualitäten, die man als Mittelfeldspieler benötigt.“
Auch Khedira ist stärker als 2014, als er nach einem Kreuzbandriss sogar um die WM-Teilnahme bangen musste. „Es ist immer angenehmer, wenn man die ganze Saison spielen konnte“, sagte Khedira, der das DFB-Team schon wiederholt als Ersatzkapitän aufs Feld führte. Bei Juve sorgte er für eine erfolgsbringende Balance, die aber dort in einem entscheidenden Moment fehlte. Als Khedira beim 2:4 der Turiner im Achtelfinale der Champions League gegen den FC Bayern ausgewechselt wurde, führte seine Mannschaft noch 2:0.
Schweinsteiger ist nach dem Mini-Einsatz vor dem zweiten Gruppenspiel gegen seinen ehemaligen Bayern-Kollegen Robert Lewandowski bereit für mehr Minuten, aber Löw setzt auf einen langsamen Formaufbau des lange verletzten Leistungsträgers. Welttorhüter Manuel Neuer und Abwehrchef Jérôme Boateng sprachen sich schon für einen raschen Startelf-Einsatz des Helden aus dem WM-Finales aus. Keiner aus dem Mittelfeld denkt so defensiv wie der 31-Jährige von Manchester United - das mögen Abwehr- und Torleute natürlich besonders.
„In einem Spiel ist es aber nicht entscheidend, wenn ein oder zwei Spieler auf der Sechs gut funktionieren, sondern alle elf müssen funktionieren“, betonte Schweinsteiger schon von dem EM-Start. Vor dem zweiten Gruppenspiel pries in Löw noch einmal als „emotionalen Leader“ und „Führungsspieler“. Schweinsteiger selbst betonte die mannschaftliche Geschlossenheit: „Du kannst die zwei besten Sechser der Welt aufstellen. Wenn die anderen nicht funktionieren, wird es schwer.“ Erst einmal heißt es für den Kapitän weiter Bank statt Startelf: Passend dazu nahm er an der Seite von Khedira vor der Abreise an den Spielort Paris ein rotes Ruhekissen mit an Bord.