„Noch 20 Sekunden“: Rüdiger lässt Löw warten
Ascona (dpa) - Auf diese Erheiterung hätte Antonio Rüdiger gerne verzichtet. Der Bundestrainer hatte das Abschlusstraining in Ascona schon angepfiffen, als Joachim Löw plötzlich mitbekam, dass noch einer der 22 verfügbaren Spieler auf dem Rasen des Stadio Comunale di Ascona fehlte: Antonio Rüdiger.
Löw nahm nochmal Platz auf der Trainerbank, während die Teamkollegen feixend zum Eingang des Sportplatzes blickten, bis Turnierneuling Rüdiger im Laufschritt angetrabt kam. „Noch 20 Sekunden“, rief Spaßvogel Lukas Podolski dem Abwehrspieler des AS Rom zu, der doch noch beim angesetzten Trainingsbeginn um 10.30 Uhr auf dem Rasen stand. Als er sich noch die Schuhe band, erhielt Rüdiger eine kurze, auf der Tribüne nicht hörbare Ansage von Löw. Der Bundestrainer konnte über die späte Ankunft des Fußball-Profis nicht lachen.
Es war schon das zweite Mal, dass Rüdiger in den Trainingstagen am Lago Maggiore Probleme mit der Pünktlichkeit hatte. Vielleicht hat sich der 23 Jahre alte Ex-Stuttgarter schon zu sehr an die legere italienische Lebensart gewöhnt, über die auch Weltmeister Miroslav Klose in seiner Zeit bei Lazio Rom häufig zu berichten wusste. Pünktlichkeit gilt eher in Deutschland als eine Tugend.
Die Trainingsankunft in letzter Sekunde muss Rüdiger im Hinblick auf die Europameisterschaft in Frankreich nicht schaden. Der 1,90 Meter große Modellathlet hat gute Chancen, zum Turnierstart am 12. Juni in Lille gegen die Ukraine den Platz neben Weltmeister Jérôme Boateng einnehmen zu dürfen. Rüdiger streitet mit Shkodran Mustafi um den Platz des noch verletzten Weltmeisters Mats Hummels. Einen wichtigen Fingerzeig könnte Löw bei der EM-Generalprobe am Samstag (18.00 Uhr) in Gelsenkirchen gegen Ungarn geben.
Rüdiger kam in den vergangenen vier Länderspielen jeweils 90 Minuten zum Einsatz. Sein Stellenwert hat sich erhöht, auch durch den Wechsel vom VfB Stuttgart zum AS Rom vor einem Jahr. Der italienische Topclub hat in dieser Woche nach dem einjährigen Leihgeschäft die Kaufoption für Rüdiger gezogen. „Man spielt Champions League, man kommt nicht mehr aus dem Abstiegskampf. Natürlich wird man da anders gesehen“, sagte Rüdiger in der Schweiz. „Wenn du in der Nationalmannschaft bist, musst du wissen, hier sind ganz andere Ansprüche. Da kannst du nur hinkommen, wenn du ganz oben mitspielst, Champions League.“
„Seine Entwicklung in Rom gefällt uns gut“, äußerte Löw. Die EM ist sein erstes Turnier. Rüdiger erinnert mit seiner ungestümen Art an den jungen Boateng. Der Münchner Abwehrchef traut dem unerfahrenen Kollegen viel zu. „Toni ist sehr zweikampfstark, sehr kopfballstark, sehr schnell“, zählte Boateng die Qualitäten von Rüdiger auf. Bei der Pünktlichkeit aber ist noch Luft nach oben.