„Notarzt“ Hodgson muss Englands Lazarett aufpäppeln

London (dpa) - Vor vier Wochen holte der englische Fußballverband überraschend den 64 Jahre alten Roy Hodgson als neuen Nationaltrainer. Nach Lage der Dinge hätte die ehrwürdige FA lieber einen Arzt als Nachfolger von Fabio Capello rufen sollen statt einen Fußballlehrer.

Gut eine Woche vor dem Start der Europameisterschaft in Polen und der Ukraine und kurz vor dem letzten Testspiel gegen Belgien am Samstag in Wembley hat Hodgson eher ein Lazarett zu betreuen denn eine Fußballmannschaft. „Roy steht vor einem Gerippe“, titelte die „Sun“ am Freitag.

Erst am Vortag sagte in Routinier Frank Lampard (33) vom Champions-League-Sieger FC Chelsea einer der Führungsspieler ab - eine Oberschenkelverletzung, die er im Training erlitt, heilt nicht mehr rechtzeitig aus. Lampard ist der zweite Mittelfeld-Stratege, der den „Three Lions“ kurz vor Turnierstart abhandenkommt. Kurz zuvor hatte bereits Gareth Barry vom englischen Meister Manchester City passen müssen - ihn zwickt die Leiste.

Das Aus von Lampard, der als Schütze des nicht gegebenen Tores gegen Deutschland bei der WM 2010 in Südafrika nun auch nicht den Start der Torkamera-Technik in Wembley miterleben kann, ist nach den Worten von Hodgson ein „schwerer Schlag“. „Besonders deswegen, weil uns Gareth Barry eh schon fehlt“, sagt der Coach. Die Ärzte hatten Lampard aber nicht garantieren können, dass er für wenigstens eines der Gruppenspiele fit werden kann. „Er war in sehr guter Form und hat sich auf das Turnier gefreut“, klagte Hodgson.

Lampard und Barry sind nicht die einzigen Sorgenfälle: Scott Parker von den Tottenham Hotspur wird seit längerer Zeit von Achillessehnenproblemen geplagt, ist nicht hundertprozentig fit und muss sich spritzen lassen. Danny Welbeck (ManUnited) hat's am Knöchel und Glen Johnson (FC Liverpool) schmerzt ein entzündender Zeh. Am Freitag reihte sich noch Theo Walcott in die Liste der Spieler mit Wehwehchen ein - auch wenn alle Angeschlagenen für das Belgien-Spiel zunächst einmal Einsatzfähigkeit meldeten.

Mit Blick auf die EM allerdings muss Hodgson sein einzig echtes Mittelfeld-Ass, Kapitän Steven Gerrard, in Watte packen. Denn zu allem Übel ist auch noch Stürmerstar Wayne Rooney für die ersten beiden EM-Spiele gegen Mitfavorit Frankreich und Schweden gesperrt.

Dem Mittelfeld muss Notarzt Hodgson nun notgedrungen eine massive Verjüngungskur verordnen. James Milner von ManCity ist mit 26 Jahren schon ein Routinier. Ihm stehen mit Phil Jones (20) und Lampard-Ersatzmann Jordan Henderson (21) zwei Greenhorns zur Seite. Die ohnehin junge englische Truppe - mit weniger als 26,5 Jahren eine der jugendlicheren Mannschaften im 16er Feld der EM - könnte gezwungenermaßen noch jünger werden.

Die englischen Zeitungen sind allerdings skeptisch, ob das die Qualität des Teams, das seit dem WM-Triumph 1966 keinen internationalen Titel gewonnen hat, entscheidend steigern kann. Die „Sun“ sieht das Team in der nicht einfachen Gruppe D, in der neben Frankreich und Schweden auch noch Mit-Gastgeber Ukraine im Weg steht - im Kampf ums Überleben.