Psychologin: Fußballpatriotismus wieder chauvinistischer
Berlin (dpa) - Der schwarz-rot-goldene Party-Patriotismus vieler Fans zu Events wie der Fußball-Europameisterschaft war nach Ansicht der Sozialpsychologin Dagmar Schediwy nie ganz unbeschwert.
„Ich fand immer, dass es nationalistische Tendenzen gab - auch 2006 schon“, sagt Schediwy, die die Stimmung auf den Fanmeilen bei den vergangenen drei Welt- und Europameisterschaften beobachtet hat. „Aber damals haben wenige Medien die Ausfälle dokumentiert, die es etwa gegen Ausländer oder Migranten gab.“
Die Medien hätten eine hohe Verantwortung, meint die Psychologin: „Je mehr der Fußballpatriotismus als unverkrampft, lustig beschrieben und mit der Freude am Sport erklärt wird, desto mehr wächst die Gefahr, dass sich Neonazis unter die Leute mischen.“ So hörte Schediwy in jüngerer Zeit auf der Fanmeile nicht nur die üblichen „Deutschland, Deutschland!“-Rufe heraus, „sondern Lieder von deutscher Treue und Ehre, die ich noch nie zuvor gehört habe“. Immer häufiger bekomme sie seitdem mit, dass Rechtsradikale versuchten, die Fußball-Events für ihre Zwecke zu instrumentalisieren.
„Während der WM 2006 in Deutschland war noch eine große Vorsicht im Ausdruck von Nationalstolz da“, erklärt die Expertin. „Im Laufe der Events wurde er aber immer mehr zur Selbstverständlichkeit erklärt.“ Schediwy führte während der Welt- und Europameisterschaften seit 2006 auf Fanmeilen Interviews mit mehr als 200 Fans. Dabei stellte sie eine unerfreuliche Entwicklung fest. „Das Euphorische hat sowas Verzweifeltes und Grölendes bekommen, etwas primitiv Pöbelndes.“
Der Ausbruch von Patriotismus habe während der Weltmeisterschaft im eigenen Land dagegen noch „starke Züge einer Jugendrevolte“ gehabt. „Viele junge Fans haben mir damals gesagt: Ich habe keine Lust mehr, mich für etwas zu schämen, das mein Urgroßvater einmal vor vielen Jahren gemacht hat“, erklärt Schediwy.
Jetzt seien unter den Fans „schon ziemlich chauvinistische und auch fremdenfeindliche Töne zu hören, wenn es um Spieler wie Mesut Özil oder Sami Khedira geht“, sagt Sozialpsychologin Schediwy. Beim Public Viewing gerade in Kneipen und Restaurants fühlten sich Fans häufig unbeobachtet. „Das sind nicht nur junge Leute. Da kommt auch bei älteren Menschen viel an nationalistischen Ressentiments heraus.“