Kontrollierter Kick statt Lust-Fußball
Das spielerische Niveau der Euro ist überschaubar. Woran liegt das?
Sopot. Vier Große sind wieder unter sich. Spanien, Italien, Portugal und Deutschland. Und wir ziehen ein kleines Zwischenfazit über das Niveau dieser Euro: Es wurde wahrlich genug gemauert. Von Irland, das schön singt, aber nicht Fußball spielt. Von staubtrockenen Griechen, den limitierten Tschechen, gelegentlich von Kroatien und Frankreich, gerne auch von England. Letzterer Gigant mit leichtem Staub auf dem Denkmal erstellte im Viertelfinale ein beachtliches Bollwerk gegen Italien, ansteigend massiv, als es gen Elfmeterschießen ging. Was man unter historischen Gesichtspunkten als Masochismus erster Güte entlarven muss.
Hier die Mauer, dort die Suche nach den entsprechenden Bohrköpfen, mit denen das Bollwerk zu durchbrechen ist. Nach dem Motto: Wir haben keine Chance, also nutzen wir sie. Das geht schon mal gut, wenn etwa Griechenland am spielstärkeren russischen Team vorbei in die Phalanx der Viertelfinalspiele eindringt, fliegt dann aber eben doch auf.
Das beste Zeichen, das von dieser Euro ausgeht, ist dieses: Mit Spanien, Italien, Portugal und Deutschland stehen jene Teams mit dem offensivstärksten Fußball im Halbfinale. Nicht wie 2004, als die Griechen mit Steinzeitfußball Europameister wurden. Nicht wie 2008, als sich die Türken ins Halbfinale mogelten.
Die schlechte Nachricht: Selbst diese großen Vier spielen ihre Offensivstärke reichlich kontrolliert aus. Was ihren Auftritt „perfektionieren“ und für den Taktikexperten zum Genuss machen möge — dem Zuschauer aber schon mal auf die Nerven geht.
Was waren das noch für Zeiten, als Deutschland England (4:1) und Argentinien (4:0) bei der WM 2010 auseinandergenommen hatte. Beide Gegner ließen zwischen Abwehr und Angriff einen gewaltigen personalfreien Raum, ihre Spieler liefen überschaubar im Maß. „England ist jetzt unter Trainer Roy Hodgson viel besser organisiert“, sagte Löw vor dem Viertelfinale. Italien war es dann doch besser, aber unter dem Strich lehrt das Ganze: Räume eng machen, gut verschieben, Positionen halten, Löws „högschde Konzentration“.
Gut ist, wer das in beiden Spielhälften zur Geltung bringt. DFB-Chefausbilder Frank Wormuth drückt den Fußball der „Limitierten“ im Interview bei „spox.de“ so aus: „In der Defensive wird als Team gearbeitet, während in der Offensive das Individuum als Philosophie bevorzugt wird.“ Wobei in der Spitze die Variabilität auf die Spitze getrieben wird. Spanien spielt zeitweise ohne echten Stürmer, Italien mit Libero. „Warum soll das auch schlecht sein?“, sagt Wormuth.
Tore fallen trotzdem, in 28 Spielen fielen 69 (Durchschnitt 2,46), 2008 war es ein einziges weniger. Nur acht Tore fielen nach Standards, nur zwei nach Fernschüssen. Auch in diesem Segment scheinen Verteidigungskonzepte aus der Fußball-Matrix Erfolg zu zeigen. Und: Es gab erst eine Rote und eine Gelb-Rote Karte. Was nur heißen kann, dass über die Organisation hinaus keine Zeit mehr für ein ordentliches Foul bleibt. Wer’s mag.