Team aus dem Schatten, Trainer ins Licht: Storcks Riesen
Tourrettes (dpa) - Manchmal ruft Bernd Storck nachts um eins seinen Co-Trainer Andreas Möller an und diskutiert mit ihm über neue Ideen.
Nach Stationen als Assistenzcoach in der Bundesliga und als Cheftrainer in Kasachstan und Griechenland geht der 53-Jährige aus dem westfälischen Herne derzeit seinem Beruf mit einer solchen Leidenschaft und Akribie nach, dass er nicht nur die ungarische Fußball-Nationalmannschaft in das Achtelfinale der EM gegen Belgien geführt hat. Sondern auch zugleich Werbung in eigener Sache betreibt.
In Deutschland war Storck lange nur Insidern ein Begriff. 14 Jahre begnügte er sich mit der Rolle des Assistenten von Jürgen Röber. Erstmals als Chef trainierte er dann gleich drei Mannschaften gleichzeitig: die A-Mannschaft Kasachstans, die U 21 Kasachstans und mit dem FK Almaty einen der wichtigsten Vereine Kasachstans. Nicht gerade die Beletage des internationalen Fußballs. Anschließend bekam Storck nicht einmal Angebote aus der dritten deutschen Liga.
„Wenn die Leute dich nicht kennen, hast du einfach keine Chance. Sie müssen wissen, wie du arbeitest“, sagte der Mann mit dem meist streng zurückgegelten grauen Haupthaar vor der EM dem Magazin „Elf Freunde“. Das Fachblatt hatte noch vor dem ersten Anstoß konstatiert: „Vergesst Island, vergesst Albanien, die größten Underdogs kommen aus Ungarn.“
Unabhängig von der inhaltlichen Einschätzung des Außenseiter-Rankings hat Storck seit seinem Amtsantritt in Ungarn im Juli des vergangenen Jahres als Nachfolger des heutigen Hertha-BSC-Coaches Pal Dardai Beachtliches vollbracht: Er hat die Magyaren erstmals seit 30 Jahren und der WM 1986 in Mexiko zu einem großen Turnier geführt.
Zudem hat er geschafft, die heutige Generation zumindest ein kleines bisschen von der erdrückenden Last der Weltmeister-Elf von 1954 zu befreien. Und ganz nebenbei schiebt sich Storck selbst auf dem umkämpften Trainermarkt wieder ins internationale Rampenlicht. Als hemdsärmeliger Übungsleiter der guten alten Schule, als Gegenentwurf zur so genannten Laptop- oder Konzepttrainergeneration. Er arbeitet gewissenhaft, kritisiert dort, wo es notwendig ist, und schützt und lobt diejenigen, die es seiner Meinung nach verdient haben.
„Wir haben sowieso einen großen Schatten mit der Puskas-Generation“, sagte Storck nach dem furiosen 3:3 gegen Portugal. „Aber diese Mannschaft hat es verdient, dass man über sie spricht und nicht über die Vergangenheit.“ Storck plant die Zukunft. Gemeinsam mit dem 1996er-Europameister Möller und Torwarttrainer Holger Gehrke tüftelt er nun also an der Taktik für das schwere Achtelfinale gegen den Turnier-Mitfavoriten Belgien am Sonntag um 21.00 Uhr in Toulouse.
Dass er nach der Partie gegen Cristiano Ronaldo & Co. in herrlich westfälischem Akzent und mit zischendem S-Laut sagte: „Wir denken nur von Spiel zu Spiel und entwickeln uns mit jedem Spiel“, darf man getrost als Geplänkel für die Öffentlichkeit abtun. Storck weiß ganz genau, dass die hochgelobten Belgier mit ihrem Bundesliga-erfahrenen Trainer Marc Wilmots seinen Riesen bislang keine Furcht einflößen müssen.
Wenn der 40 Jahre alte Gabor Kiraly wieder großartig hält oder die in der Bundesliga wenig geschätzten Laszlo Kleinheisler, Adam Szalai oder Zoltan Stieber erneut glänzen, ist den Ungarn ein weiterer Coup zuzutrauen. Und dann gibt es vielleicht auch wieder einen gesunden Snack in der Kabine. „Die einen essen Nudeln nach dem Spiel, wir hatten Pizza. Unser Doktor hat gesagt, das ist okay“, entgegnete Storck nach dem Portugal-Spiel einem verblüfften Reporter.