Vor EM bleibt die Sorge - Fußball im Hochsicherheitstrakt

Saint-Denis (dpa) - Die Erinnerung an die Terrornacht vom 13. November steckt vielen Menschen noch in den Knochen. In Saint-Denis, wo damals die ersten Bomben hochgingen, wird nun die EM angepfiffen.

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Der wuchtige Stadionbau verkörpert zugleich die große Hoffnung und die große Furcht, mit der Frankreich in diese Europameisterschaft geht. Im Stade de France wurde vor 18 Jahren ein Fußballtraum in Blau-Weiß-Rot wahr, als das Team um Zinédine Zidane zuhause den Weltmeistertitel holte. Und hier begann beim Spiel der Équipe Tricolore gegen die deutsche Nationalmannschaft die Horrornacht des 13. November 2015, als vor dem Stadion im Pariser Vorort Saint-Denis die ersten Selbstmordattentäter ihre Bomben zündeten.

Die Bilder des Terrors haben seitdem die Vorbereitung auf das Fußballfest geprägt. Wenn Schiedsrichter Viktor Kassai an diesem Freitagabend das Eröffnungsspiel Frankreich gegen Rumänien anpfeift, ist das Stade de France eine Festung.

Ein über mannshoher Zaun umgibt seit einigen Tagen das Gelände. Mehr als 1250 private Sicherheitsleute stehen bereit, sie alle wurden von den Behörden durchleuchtet. Besucher müssen durch zwei Sicherheitsschleusen, jeder wird abgetastet und muss seine Taschen öffnen. Bis zu 1100 Polizisten und Gendarmen sind allein hier im Einsatz, auch Scharfschützen und Anti-Terror-Spezialkräfte. Kein Sportereignis in Frankreich sei jemals so stark geschützt worden, sagt Sportminister Patrick Kanner.

Doch die Sorge bleibt. Der deutsche Nationalspieler Jérôme Boateng will seine Familie bei der EM lieber nicht im Stadion haben. Laut einer Umfrage fürchten drei von vier Franzosen einen Anschlag während des Turniers, die USA und Großbritannien haben Reisende zur Vorsicht aufgerufen.

„Frankreich ist heute ganz klar das am stärksten bedrohte Land“, sagte der französische Inlands-Geheimdienstchef Patrick Calvar vor Kurzem in einer Anhörung der Nationalversammlung. Die Frage sei nicht, ob es neue Anschlagspläne gebe, sondern wann und wo. Die Terrormiliz Islamischer Staat hat während des gerade begonnenen muslimischen Fastenmonats Ramadan weltweit zu Attacken aufgerufen.

Allerdings: Alle Verantwortlichen von Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve bis hin zu BND-Chef Gerhard Schindler betonen bislang, dass es keine konkreten Hinweise auf Anschlagspläne gegen die EM gebe. Im Fall des in der Ukraine festgenommenen Franzosen, der angeblich Attentate vorbereitet haben soll, blieben viele Fragen offen. „Auf die Euro zu verzichten hätte bedeutet, der schändlichen Erpressung der Terroristen nachzugeben“, betont Cazeneuve.

Wie kompliziert aber der Schutz solcher Großereignisse ist, zeigte zuletzt das französische Pokalfinale im Stade de France Mitte Mai. Die verschärften Kontrollen versagten unter dem Andrang der Besucher: Die Menschen stauten sich vor den Eingängen, deren Zahl deutlich reduziert worden war. Fans konnten Rauchbomben ins Stadion schmuggeln, aus PR-Gesichtspunkten eine Katastrophe für die EM-Gastgeber. Während das Spiel vorher noch als Test für das Turnier dargestellt worden war, ruderten die Behörden hinterher schnell zurück: Die Vorkehrungen seien noch gar nicht vollständig auf EM-Niveau gewesen, die Beschilderung etwa war unzureichend.

Cazeneuve versprach Konsequenzen und dekliniert seitdem regelmäßig drei Ziele durch: Die Kontrollen sollen verlässlich sein. Die Besucher sollen flüssig ins Stadion kommen, damit sich keine großen Menschenmenge davor stauen, die ein mögliches Terrorziel bieten könnten. Und das gleiche gilt für den Heimweg nach dem Spiel. Das Eröffnungsspiel wird zur Nagelprobe, ob die Pläne aufgehen.

Letztlich sind die Stadien aber noch recht gut zu schützen: Sie lassen sich komplett abriegeln, wenn die Einlasskontrollen funktionieren. Das zeigte sich auch am 13. November, als die Attentäter es eben nicht ins Stade de France schafften. Als einer der Helden des Abends wurde in Frankreich der Sicherheitsmann Salim Toorabally gefeiert, der einen der Attentäter am Eingang aufhielt, weil er kein Ticket hatte. Ansonsten wäre die Bilanz der Terrornacht wohl noch sehr viel verheerender ausgefallen.

Viel mehr Sorgen bereiten Frankreichs Behörden deshalb die Fanmeilen wie am Eiffelturm. Polizeigewerkschafter laufen seit Monaten Sturm, zumal viele Polizisten nach sieben Monaten Ausnahmezustand am Rande der Erschöpfung seien. Selbst der Pariser Polizeipräfekt hatte im Vorfeld zunächst Bedenken vorgebracht. „Der Bereich der Fanzonen wird perfekt abgeriegelt sein“, versichert Minister Cazeneuve. Auch dort: Taschenkontrollen, Metalldetektoren.

Die Hoffnung in Paris ist, dass die Fans trotz dieser Umstände vor die Leinwände strömen und bald Fußballstimmung aufkommt. Präsident François Hollande hatte schon vor Monaten gesagt, das Turnier sei „auch eine Form der Antwort auf den Hass, auf die Spaltung, auf die Angst, auf den Schrecken“. Ein erfolgreicher Verlauf dieser EM, er wäre Balsam für die Seele dieser in ihren Grundfesten erschütterten Nation. Der Rekordnationalspieler Lilian Thuram meint, dass es auf dem EM-Rasen auch um die Stimmung in dem wirtschaftlich angeschlagenen Land geht: „Es wird viel von den Ergebnissen der französischen Elf abhängen“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“.