„Weltwunder“ Diarra: Frankreichs Hoffnungsträger
Donezk (dpa) - Uli Hoeneß bezeichnete den Aufstieg von Alou Diarra einst als das „siebte Weltwunder“. Dessen Reise zur EM ist für Frankreichs Fußball-Fachwelt auch keine Selbstverständlichkeit.
Im Alter von 30 Jahren steht der defensive Mittelfeldspieler trotz einer mäßigen Saison vor seiner Premiere bei einer EURO - und gilt angesichts der Personalnot sogar als Hoffnungsträger für die wacklige Hintermannschaft. „Wenn sie in den Kampf gehen müssen, können sie an seiner Seite mit geschlossenen Augen gehen“, sagte der französische Nationaltrainer Laurent Blanc vor dem EM-Auftakt am Montag gegen England über seinen Vertrauensmann.
Dabei führte Diarras Weg bis in die futuristisch anmutende Donbass Arena von Donezk in der Vergangenheit keineswegs geradeaus. Vor zwölf Jahren wechselte er aus der zweiten französischen Liga zum FC Bayern, erzielte bis 2002 in 41 Regionalliga-Spielen fünf Tore. Den Sprung in die erste Mannschaft schaffte er nie.
Wenn ihm damals jemand „gesagt hätte, dass er so eine Entwicklung nimmt, hätte ich bei einer Wette viel Geld verlieren können“, meinte Münchens heutiger Club-Präsident Hoeneß später. Auf den damaligen Manager angesprochen, musste Diarra am Samstagnachmittag grinsen. Das sei lange her, meinte der schlaksige 1,90-Meter-Hüne.
Aber auch im Land des ersten EM-Gegners kam Diarra nicht in der höchsten Spielklasse zum Einsatz, wurde vom FC Liverpool immer wieder ausgeliehen. Bei Olympique Lyon verkrachte er sich später wegen einer Nicht-Berücksichtigung mit Trainer Gérard Houllier und war bislang bei insgesamt neun Clubs angestellt.
Erst unter dem heutigen Coach der Équipe Tricolore erlebte Diarra von 2007 an bei Girondins Bordeaux - auch als Kapitän - seine Blüte. Es entstand eine Verbindung, auf die Blanc auch heute noch baut. „Er hatte nur eine durchschnittliche Saison, aber Alou ist immer da, wenn man ihn braucht“, konterte der 46-Jährige die Kritik in den Medien an der EM-Nominierung des Profis von Olympique Marseille, „er ist ein geborener Wettkämpfer.“
Schon bei den drei Vorbereitungsspielen auf das Turnier in Polen und der Ukraine wirkte Diarra mit seiner Erfahrung vor der Abwehr beruhigend auf die häufig konfus anmutende französische Verteidigung. „Ich habe bewiesen, dass mein Einfluss nicht unerheblich ist“, beschrieb er nun seine Rolle, „Bälle zurückerobern, den Angriff des Gegners unterbinden: Das ist undankbar, aber gut für die Mannschaft.“
Angesichts der drohenden Ausfälle von Stamm-Sechser Yann M'Vila (Verstauchung im Sprunggelenk) und Ersatzmann Blaise Matuidi (Oberschenkelblessur) wäre der 41-malige Nationalspieler erstmals bei einer EM gefordert. „Wenn er sein Niveau auch bei der EURO zeigt, wird er das Mittelfeld absichern. Er schafft anderen die Möglichkeit, ein bisschen mehr zu machen“, lobte Nebenmann Florent Malouda.
Nach einer im letzten Test beim 4:0 gegen Estland erlittenen Entzündung im Knie gehe es ihm „viel besser“, versicherte Diarra zwei Tage vor dem Start, „ich fühle fast keine Schmerzen mehr“. Bei der ersten Übungseinheit im Trainingszentrum Kirscha hatte er noch in Joggingschuhen seine Runden gedreht, während die Kollegen in einer Trainingshalle mit dem Ball tricksten. Es wäre aber nicht der erste Umweg, den Diarra in seiner Laufbahn nehmen müsste.