XXL-EM hat trotz Rechenschieber-Modus viele Freunde

Paris (dpa) - Wäre es nach Sepp Herberger gegangen, hätte es nie eine Fußball-EM gegeben. Der erste deutsche Weltmeistertrainer bezeichnete die Idee eines Kontinentalturniers zwischen zwei Weltmeisterschaften einst als „Zeitverschwendung“.

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Also trat die DFB-Elf sowohl bei der Premiere 1960 und auch vier Jahre später gar nicht erst an. Heute würde Herberger staunen, zu welchem Event sich das UEFA-Turnier entwickelt hat. Die oft kritisierte jüngste Aufstockung von 16 auf 24 Mannschaften findet vor dem Anpfiff der 15. Auflage am Freitag im Pariser Stade de France trotz kompliziertem Rechenschieber-Modus und Mammut-Dauer von 30 Tagen erstaunlich viele Freunde.

Herbergers achter Nachfolger im Bundestraineramt, Joachim Löw, hat sich mit der neuen Turnierform immerhin abgefunden. „Aus sportlicher Sicht fand ich ein 16er-Feld für eine Europameisterschaft besser und auch für die Fans reizvoller. Ich kann aber verstehen, dass die kleineren Nationen eine Aufstockung positiv sehen“, sagte der Bundestrainer.

Sein italienischer Kollege Antonio Conte sieht die Angelegenheit eh entspannt: „Natürlich ist es mit dem Achtelfinale jetzt ein Spiel mehr. Aber ich denke, es ist ein interessantes Format. Es gibt mehr Mannschaften die Möglichkeit, teilzunehmen, und bezieht daher auch mehr Länder mit ein. Das eine Spiel mehr macht da wirklich keinen Unterschied.“

Der Mehrheit der Fans macht ein ganzer Fußball-Sommermonat offenbar aber ohnehin nichts aus. Wenige Tage vor dem Turnier-Auftakt äußerten sich 57 Prozent der an Fußball interessierten Deutschen positiv über die XXL-EM. Nur 26 Prozent lehnen die Ausdehnung ab. Das ergab eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur. 18 Prozent machten keine Angaben über ihre Präferenz.

Vom 10. Juni bis 10. Juli finden in zehn französischen Stadien 51 Partien statt und damit 20 Spiele mehr als noch beim EM-Turnier 2012. Bei der ersten Auflage im Jahr 1960 hatte es nur vier Teilnehmer und vier Spiele gegeben. 1980 wurde erstmals in Turnierform mit acht Nationen gespielt, 1996 folgte die Aufstockung auf 16 Mannschaften.

Die Idee für eine Ausweitung auf 24 Teilnehmer stammt vom mittlerweile zurückgetretenen UEFA-Chef Michel Platini, der mehr Einnahmen, aber auch ein größeres Mitwirken kleinerer Fußballverbände propagiert hatte. Beides hat er in seiner neunjährigen UEFA-Ägide erreicht. Doch selbst seine langjährigen Verbündeten mochten sich lange nicht von dem überschaubaren 16er-Feld verabschieden. „Und im Turnier selbst muss man nach einem Modus spielen, bei dem man eine Logarithmentafel braucht“, moserte das deutsche UEFA-Exekutivmitglied Wolfgang Niersbach.

Doch wie läuft die EM? In sechs Gruppen spielen vier Mannschaften jeweils gegeneinander. Um auf die gerade Zahl von 16 Teams für das Achtelfinale zu kommen, ziehen nicht nur die jeweils Erst- und Zweitplatzierten jeder Gruppe in die K.o.-Phase ein, sondern auch die vier besten der sechs Gruppendritten. Hier muss gerechnet und kann auch manipuliert werden. Denn im schlimmsten Fall wissen zwei Mannschaften vor ihrem letzen Spiel gegeneinander, welches Resultat beiden zum Weiterkommen genügen würde. Dieses Szenario will sich auch bei der UEFA keiner vorstellen.

Platinis Argument und Löws Turnier-Rechtfertigung, dass auch kleine Teams nun EM-Träume leben dürfen, stimmt nur bedingt. Turnierneulinge wie Island oder Nordirland hätten als Gruppensieger auch nach dem alten Modus die Qualifikation geschafft. Der WM-Dritte Niederlande scheiterte jedoch trotz aufgeweichter Teilnehmerauswahl krachend.

Profiteure der Aufweichung sind Ungarn, Schweden, Irland und die Ukraine, die nach dem alten Modus als Quali-Dritte gescheitert wären. Und auch bei Löw dürfte ein Aspekt Vorfreude wecken: Immer, wenn die Teilnehmerzahl bei einer EM aufgestockt wurde, nämlich 1980 und 1996, hieß der Turniersieger Deutschland.