Deutsch-deutsches Duell 1973, Teil 6 Als die Stasi die Fortuna-Fans in Leipziger Kneipen beobachtete

Serie | Leipzig/Düsseldorf · Die berüchtigte Staatssicherheit hatte sich alles scheinbar perfekt ausgedacht zur Überwachung der Düsseldorfer Spieler und Fans rund um das Uefa-Pokalspiel im Dezember 1973. Aber Fortunas Anhänger waren schon damals kreativ.

Die Stasi hatte den Tagesablauf der 1150 Fans, die den Fußball-Bundesligisten Fortuna im Dezember 1973 zum Uefa-Pokalspiel bei Lok Leipzig begleitet hatten, durchgeplant. Ziel: sie möglichst von der Innenstadt und den DDR-Bürgern fernzuhalten. Auch das geht aus der Sichtung der 1001 Seiten aus Dokumenten des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) hervor, die unsere Autoren von der Dienststelle Leipzig des Stasi-Unterlagen-Archivs in Kopie zur Verfügung gestellt bekam.

An einem festen Programm hatten die meisten der Düsseldorfer jedoch kein Interesse. Meldungen über erste Probleme gelangten schon während der Anreise an die Einsatzleitung: Einige Fans führten unliebsame Transparente mit Parolen wie „Düsseldorf grüßt Leipzig“ mit. Ein Dorn im Stasi-Auge. Viele Anhänger waren bereits auf der Anreise alkoholisiert. Per Fernschreiben meldete ein Hauptmann von der Grenzübergangsstelle Oebisfelde am 12. Dezember um 8.30 Uhr: Im Zug kursierten Sprüche wie „Iwan, schließ die Türen auf“.

Auch die Überwachung der zahlreichen Reisebusse, die am Spieltag in Leipzig eintrafen, lief holprig: Die Stasi hatte nicht damit gerechnet, dass einzelne Busreisende in der Stadt vorzeitig ausstiegen. Die sie verfolgenden MfS-Mitarbeiter standen damit vor der Entscheidung, wem sie zu folgen hatten. In vorliegenden Berichten entschieden sich die Beobachter für die Einzelpersonen. Sie beschreiben, wie diese per Taxi oder Straßenbahn Bekannte und Verwandte besuchten.

Am Flughafen wurde derweil stichprobenartig das Gepäck durchsucht. Es fanden sich Lebensmittel, vorwiegend Südfrüchte, Geschenke für Verwandte, gebrauchte Kleidungsstücke. Diese zogen die Kontrolleure ein, „da keine Desinfektionsbescheinigung vorgelegt werden konnte“. Jeder Reisende wurde in einem „Kontrollgespräch“ befragt. 30 Flugreisende gaben an, Verwandte zu besuchen. Die Stasi verhinderte einen Kontakt mit DDR-Bürgern, die vor dem Flughafen warteten.

Großteil der Fans zog
es in die Innenstadt

Doch bald geriet die Situation außer Kontrolle. Das zeigen zwei Minutenprotokolle in den Akten: eins vom zeitweiligen operativen Einsatzstab, ein weiteres offenbar von der Deutschen Volkspolizei (DVP). Kein Detail schien unwichtig. Danach nahm nicht einmal jeder Zweite an der geplanten Stadtrundfahrt per Bus teil. Auch das vorgesehene Mittagessen in der Technischen Messe reizte die wenigsten Fans. Das Menü: Klare Ochsenschwanzsuppe mit Käsestange, Putenrollbraten, zum Nachtisch Pfirsichsalat „Calypso“.

Nach Empfang der Eintrittskarte für die Partie um 17.30 Uhr zog es den Großteil in die Innenstadt. Für die Stasi-Mitarbeiter, zuvor akribisch auf 112 Gaststätten und Restaurants verteilt, wurde es turbulent. Um 10.10 Uhr meldete einer von ihnen: Die Fans haben sich „im wesentlichen (…) in Gaststätten verstreut. Es wird Alkohol getrunken“, vor allem in „Auerbachs Keller“. Bis 11.35 Uhr war der Alkoholpegel gestiegen. Die Lage begann zu eskalieren: „Ca. 50 wd trinken wie die Wilden.“ „wd“ steht für „Westdeutsche“. Um 11.45 Uhr meldeten sieben dort platzierte inoffizielle Mitarbeiter (IMs) erste Verbrüderungsszenen zwischen DDR-Bürgern und bundesdeutschen Touristen. Doch noch ließ die Stasi sie gewähren, ohne einzuschreiten.

Zur Mittagszeit geriet die Lage endgültig außer Kontrolle: In „Auerbachs Keller“ prügelte sich ein westdeutscher Fan mit einem DDR-Bürger, um 14.20 Uhr, drei Stunden vor Anpfiff meldete ein IM: „Auerbachs Keller wegen Überfüllung geschlossen“.