Hitzlsperger „will nicht zur Ikone werden“
Berlin (dpa) - Der Schritt war einmalig im deutschen Fußball - und doch hat Thomas Hitzlsperger das gewaltige Echo auf sein Coming-Out angeblich überrascht.
„Dass es in diesem Ausmaß stattfinden würde, habe ich nicht abschätzen können, aber es ist erfreulich, dass darüber gesprochen wird“, sagte der Ex-Nationalspieler im ZDF. Mit der Bekanntmachung seiner Homosexualität habe er „einen Nerv getroffen“, fand der 31-Jährige. Aber: „Ich will nicht zur Ikone einer Schwulenbewegung im Sport werden“, sagte er der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“. „Ich nehme diese Rolle nicht an.“
In der vergangene Woche hatte der 52-malige Nationalspieler als bislang prominentester deutscher Kicker öffentlich gemacht, schwul zu sein. Prompt gab es eine Welle an anerkennenden und lobenden Reaktionen von früheren Auswahl-Kollegen wie Lukas Podolski und Arne Friedrich über Fußball-Funktionäre, anderen Promis und sogar dem deutschen Regierungssprecher und dem britischen Premierminister David Cameron.
„Ich wusste, wenn ich an die Öffentlichkeit gehe, kann es passieren, dass es von einigen als Sensation verkauft wird. Und genau das ist passiert“, sagte der gebürtige Bayer dem „Spiegel“. Ganz unerwartet war der Hype dann vermutlich aber doch nicht, hatte sich Hitzlsperger doch 2013 eine große PR-Agentur an die Seite geholt und nach dem ersten Gespräch mit der Wochenzeitung „Die Zeit“ einen regelrechten Interview-Marathon - etwa beim britischen „Guardian“, der BBC, dem ZDF, der „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ oder der „Bild am Sonntag“ - absolviert.
Er habe nach seinem Coming-Out viele Reaktionen auch von jungen, schwulen Fußballern erhalten, verriet der frühere Profi im ZDF. Das betrachte er als „Bestätigung“, dass sein Schritt richtig war, und glaube, diesen Spielern „eine kleine Hilfestellung“ gegeben zu haben.
Hitzlsperger hofft, dass die vergangenen Tage dazu führen, „dass in Zukunft nicht mehr so viel darüber gesprochen wird, dass es ein Stück weit Normalität wird. Und das soll auch das Ziel sein, dass ein Spieler in Zukunft in der Kabine genauso über seinen Freund sprechen kann wie andere über ihre Freundin, die Frau oder die Kinder.“ Der Mittelfeldspieler ergänzte: „Ich glaube, ich habe einen kleinen Schritt getan, andere müssen dann wieder einen kleinen Schritt machen, bis es irgendwann normal wird.“
Bundestrainer Joachim Löw hofft, dass sich der Umgang mit Homosexualität durch das Coming-Out ändern werde. „Wenn unsere Gesellschaft dafür sensibilisiert ist, wird der Umgang damit irgendwann ganz normal sein“, sagte Löw dem „Spiegel“. Hitzlsperger hatte ihm schon 2012 verraten, an die Öffentlichkeit gehen zu wollen.
Apropos normal: Der Chef des Deutschen Fußball-Bundes, Wolfgang Niersbach, sagte am Sonntag bei einer Gesprächsrunde in Frankfurt/Main: „Als ich es hörte, dachte ich nur: Na und? Es hat mich irritiert, dass die sogar die Hauptnachrichten wie das "heute-journal" mit dieser Nachricht aufmachen.“
Liga-Chef Reinhard Rauball meinte bei der selben Veranstaltung , dass er es „unwürdig fand, wie das Thema aufgebauscht wurde“. Dass die Zeit reif sei für ein Coming-Out eines noch aktiven Spielers, glaubt er nicht. Seinen Profis würde er nicht dazu raten. „Denn es wäre zu idealistisch gedacht, dass die breite Szene schon bereit ist, damit ruhig umzugehen“, erklärte der Ligapräsident.
Thomas Hitzlsperger sieht das anders. „Wir können die Reaktionen der Fans nicht vorhersehen.“ Dass der Fußball schwulenfeindlicher sei als andere Bereiche der Gesellschaft, findet er nicht. Vielleicht trage die von ihm initiierte Diskussion dazu bei, dass Spieler merken, dass es die von vielen erwartete homophobe Stimmung auf den Stadionrängen gar nicht gibt. Aber: „Das sieht man erst, wenn es noch aktive Spieler gibt, die sich zu ihrer Homosexualität bekennen.“