FIFA-WM-Report: Spielender Torwart und Netto-Spielzeit
Berlin (dpa) - Ein mitspielender Torwart wie Paradebeispiel Manuel Neuer bei Weltmeister Deutschland ist einer der Haupttrends bei der Fußball-WM in Brasilien gewesen.
„Ein moderner Schlussmann beschränkt sich nicht mehr darauf, Schüsse abzuwehren“, schreibt die Technische Studiengruppe (TSG) des Weltverbandes in ihrem Abschlussbericht zur Endrunde, den die FIFA veröffentlichte. Bei den Torhütern sei „ein neues Zeitalter angebrochen“, stellte das Expertengremium fest. Über Neuer selbst hieß es in dem viersprachigen und 284 Seiten umfassenden Rapport unter anderem: „Spielt wie ein Libero.“
Torhüter mit Feldspieler-Potenzial, die offensive Ausrichtung der Mannschaften, das schnelle Umschalten von Abwehr auf Angriff, aber auch überragende Individualisten - Faktoren für den Erfolg bei der WM gibt es reichlich. Am Ende steht aber nach Betrachtung und Auswertung aller 64 Partien vom 12. Juni bis 13. Juli für die TSG unter der Leitung des ehemaligen FC-Liverpool-Trainers Gérard Houllier fest: „Die 32 Mannschaften zeigten fast durchweg erstklassigen, offensiv ausgerichteten Fußball.“ Und: „Die Partien waren schneller und dynamischer als jemals zuvor.“ Diese Tendenz sei natürlich erfreulich und für die weitere Entwicklung des Fußballs rund um die Welt sehr vielversprechend.
Das Dossier liefert auch einen interessanten Einblick in die Statistik: So betrug die Nettospielzeit des hartumkämpften Viertelfinalspiels zwischen Gastgeber Brasilien und Kolumbien nicht mal eine Halbzeit. Wie aus dem Bericht hervorgeht, wurde tatsächlich nur 39:18 Minuten gespielt. Alle anderen der 64 WM-Partien kamen auf eine Nettospielzeit von mindestens 47 Minuten. Den Spitzenwert erreichte das Gruppenmatch zwischen England und Italien mit 64:49 Minuten.
Eine weitere Tendenz des Turniers, bei dem die WM-Teilnehmer vor allem in der Gruppenphase für spektakuläre Partien mit reichlich Toren gesorgt hatten, war die Effektivität von eingewechselten Spielern und damit einhergehend auch ein langer Atem der Mannschaften. 106 der insgesamt 171 WM-Tore in Brasilien wurden nach der Pause erzielt. Dies werteten die Experten aus der TSG als Indiz für die hohe physische Belastung der Spieler und den nie nachlassenden Offensivdrang aller Teams. Bezeichnend war auch, dass die bisherige Bestmarke von Jokertoren von 23 bei der WM in Deutschland 2006 mit 32 Treffern mehr als deutlich überboten wurde.
Selbst wenn die Ziele der Mannschaft immer übergeordnet sind, kam die Endrunde am Zuckerhut nicht ohne ihre Stars aus. „Diese WM ist auch das Turnier der überragenden Individualisten“, schrieb die TSG und nannte beispielhaft Spieler wie Thomas Müller aus der DFB-Elf, Lionel Messi von Vizeweltmeister Argentinien, Bayerns Niederländer Arjen Robben, Brasiliens Neymar, Kolumbiens James Rodríguez oder Frankreichs Karim Benzema. Den kompletten Fußballer der Gegenwart zeichne dabei auch aus, dass er viel nach hinten arbeite und das Team in den Vordergrund stelle.
Einer wie Müller zähle zudem zu den Spielern, der den Ball bei Kontern schnell nach vorne treibt. Von dieser Art habe jedes der Topteams mindestens einen Akteur in seinen Reihen. „Das Umschalten von Abwehr auf Angriff ist ein zentraler Erfolgsfaktor im modernen Fußball und oftmals ein 'magischer Moment' im Spiel, der über Sieg oder Niederlage entscheiden kann“, befand die Technische Studien-Gruppe.
Ihr Bericht solle bei den technischen Konferenzen der FIFA vom 11. September an in Panama-Stadt eine zentrale Rolle spielen, erklärte die FIFA in ihrer Mitteilung am Freitag. Eingeladen sind auch die Nationaltrainer. „Diese Konferenzen sind wichtige Plattformen, um die wichtigsten technischen Erkenntnisse aus der FIFA-WM mit den Konföderationen und den Mitgliedsverbänden zu teilen. Sie sind also ein konkretes Hilfsmittel für die weltweite Fußballförderung“, sagte FIFA-Generalsekretär Jérôme Valcke.