Kuranyi in Moskau: Richtige Entscheidung
Moskau (dpa) - Für Kevin Kuranyi ist nach knapp sechs Monaten erst einmal Pause mit dem „Abenteuer Russland“. „Bis 10. Januar habe ich frei, solange wie noch nie als Profi“, sagt der Stürmer von Fußball-Erstligist Dynamo Moskau und lässt sich in einen Ledersessel fallen.
Hinter ihm stehen in der Vereinsbibliothek dicke Folianten, und ein Kamin ist an die Stirnseite gemauert. Auf dem Trainingsgelände lässt es der Traditionsclub seinen Spielern an wenig fehlen. Doch Kuranyi vermisst die sportliche Beständigkeit. „Wir müssen noch zwei, drei Spieler verpflichten, um einen Schritt nach oben zu machen.“ Mit seiner persönlichen Bilanz kann der Ex-Schalker aber zufrieden sein.
Neun Tore in 14 Begegnungen und fast alle Partien durchgespielt: Ein internationaler Spitzenwert. Trainer Miodrag Bozovic ernannte Kuranyi zu einem von drei Spielführern, und in einer Internet- Abstimmung des russischen Fußballverbands RFS wählten ihn Fans zum drittbesten Europäer der Premier Liga. „Ich staune selbst, wie schnell ich mich eingelebt und die Erwartungen erfüllt habe“, sagt der 28-Jährige im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Doch schon vor dem letzten Saisonspiel gegen Spartak Moskau ist klar, dass Dynamo den angestrebten Europapokal-Platz als Tabellensiebter verpassen wird. „Das ist natürlich ärgerlich.“
Seiner persönlichen Entwicklung habe der Wechsel nach Russland gut getan, meint Kuranyi. „Ich muss hier zwangsläufig mehr Verantwortung tragen als früher in Gelsenkirchen oder Stuttgart, weil ich über mehr internationale Erfahrung verfüge als viele Mitspieler.“ Auch sei er etwa durch Auswärtsspiele im Kaukasus mit Themen wie den dortigen Minderheitskonflikten konfrontiert, die ihm vorher fremd waren. Nun hoffe er, dass der Fußball-Weltverband FIFA am 2. Dezember in Zürich die Weltmeisterschaft 2018 nach Russland vergibt. „Damit würde eine entscheidende Weiche im russischen Fußball gestellt, denn Dinge wie Stadionkomfort und Fanbetreuung stecken noch in den Kinderschuhen.“
Seinen Drei-Jahres-Vertrag in Russland - man munkelt von mehr als fünf Millionen Euro pro Saison - will Kuranyi erfüllen. Derzeit paukt er nach eigenen Worten fleißig die Landessprache, zudem gewinne er Moskau immer mehr Lebensqualität ab. „Die Verkehrsstaus sind schlimm. Aber es ist ein überwältigendes Gefühl, auf dem Roten Platz zu stehen. Das muss man eigentlich selbst erlebt haben.“ Nach Wochen im Hotel hat er mit Frau Victorija und den beiden Kindern ein Haus in der Nähe des Dynamo-Geländes bezogen. „Natürlich vermisse ich zum Beispiel meine Freunde in Deutschland. Alles in allem war der Wechsel zwar keine leichte, aber eine richtige Entscheidung.“
Von den gelegentlich bereits leicht verschneiten Zwiebeltürmen in Moskau geht es in den nächsten Tagen nach Dubai zum Strandurlaub, dann in die Weihnachtsferien nach Deutschland. „Das Land verliere ich ebenso wie meine früheren Vereine nicht aus dem Blick. Es ist schön, dass es mit Schalke bergauf geht“, sagt Kuranyi. Hinter ihm im Regal steht ein Buch über die Fußball-Nationalmannschaften der Welt, die DFB-Elf ist auch aufgeführt. „Die Auswahl ist und bleibt ein Ziel“, sagt der 52-fache Nationalspieler gut ein Jahr nach seinem Zerwürfnis mit Nationaltrainer Joachim Löw. Seine sportliche Form und seinen Optimismus hat Kuranyi in Russland offenbar nicht verloren.