Nach Stadionunglück: Brasilien fürchtet Besucher-Flaute
São Paulo (dpa) - Eine Woche vor der Auslosung der Fußball-WM 2014 herrscht in Brasilien helle Aufregung.
Nach dem Unglück mit zwei Toten im WM-Stadion in São Paulo reagierte selbst die FIFA mit Zurückhaltung auf Medienspekulationen über eine mögliche Verlegung des dort vorgesehenen WM-Eröffnungsspiels am 12. Juni in eine andere Stadt. Der internationale Sicherheitsberater der Polizei in Rio befürchtete negative Auswirkungen auf den WM-Tourismus.
Das Unglück in São Paulo ist bereits das dritte mit Todesopfern auf WM-Baustellen. Nach dem tragischen Zwischenfall, bei dem Teile des Stadiondachs zerstört wurden, versuchte der Fußball-Weltverband (FIFA) erst einmal die Gemüter zu beruhigen. Man wolle die laufenden Ermittlungen abwarten und sich nach der Sitzung des WM-Organisationskomitees am 3. Dezember detailliert zu etwaigen Konsequenzen des Unglücks äußern, erklärte FIFA-Sprecherin Delia Fischer. „Wir können die Situation noch nicht beurteilen, da wir noch auf den technischen Report warten, um das genaue Ausmaß des Schadens beurteilen zu können“, sagte sie.
Zahlreiche Medien spekulierten über eine Verlegung des WM-Auftakts ins Maracana-Stadion von Rio de Janeiro. Das belgische Mitglied der FIFA-Exekutive, Michel D'Hooghe, heizte die Debatte zusätzlich an. São Paulo sei nach dem Unglück zu einem „Zweifelsfall“ geworden, sagte er im belgischen Radio 1. „Vier Monate vor der WM muss das Stadion komplett fertig sein, denn man muss noch einige Dinge testen“, meinte D'Hooghe. „Sonst müssen wir uns den Kalender angucken und uns fragen, ob wir das Eröffnungsspiel wirklich in São Paulo spielen können.“
Die FIFA sei zwar „nicht beunruhigt, aber wohl besorgt“, dass die Organisatoren die Deadline für die Fertigstellung des Itaquerao-Stadions einhalten können. Ursprünglich sollte die Arena am 31. Dezember der FIFA übergeben werden. Das Unglück gefährdet aber die rechtzeitige Fertigstellung des Stadions. Die Staatsanwaltschaft will in den nächsten zwei Wochen einen Kontrollbesuch am Unfallort durchführen. Ein Antrag bei der Justiz auf Einstellung der Bauarbeiten werde erwogen, sagte José Carlos de Freitas dem Nachrichtenportal „G1“. Freitas verriet, die Feuerwehr habe im Stadion „Itaquerão“ bereits am 29. Oktober 50 Sicherheitsmängel beanstandet.
Zunächst wurden die Bauarbeiten in São Paulo bis Montag unterbrochen. Wie die Zeitung „Folha de São Paulo“ unter Berufung auf Organisationskreise berichtete, stehe allerdings bereits fest, dass die Übergabe an die FIFA mindestens um einen Monat auf Ende Januar verschoben wird. Die WM-Organisatoren versicherten jedoch, sie seien „absolut überzeugt“ von Sao Paulo als Ort des Eröffnungsspiels. Dies betonte Brasiliens Verbandspräsident und OK-Chef Jose Maria Marin.
Doch nicht nur beim „Itaquerão“, dem Heimstadion des Traditionsclubs Corinthians, bereiten Bauverzögerungen den WM-Machern Kopfschmerzen. In einer jüngsten Bilanz berichteten brasilianische Medien am Montag, die Hälfte der zwölf WM-Stadien sei knapp sechs Monate vor dem WM-Start höchstens zu 90 Prozent fertig. Am schlimmsten sei die Situation der Arena in Curitiba, wo lediglich 82 Prozent der vorgesehenen Arbeiten abgeschlossen seien, hieß es. Neben São Paulo und Curitiba seien auch Cuiaba, Natal, Porto Alegre und Manaus von Problemen betroffen.
Der ehemalige Bayern-Torjäger Giovane Elber aus Brasilien machte das knappe Zeitfenster mitverantwortlich für das Unglück. „Das passiert nur dann, wenn man unter Zeitdruck steht. Die haben gewartet bis zur letzten Sekunde“, sagte der Brasilianer dem TV-Sender Sky Sport News HD. Im „Itaquerão“ sind neben der WM-Auftaktpartie mit Gastgeber Brasilien drei Gruppenspiele, ein Achtelfinale und ein Halbfinale angesetzt.
Beim WM-Gastgeber wächst unterdessen die Furcht, dass die jüngste Serie von Negativmeldungen eine große Zahl von ausländischen Fans von einer Reise nach Brasilien abhalten könnte. „Seit kurzem gibt es jede Woche wieder eine schlechte Nachricht aus Brasilien“, sagte der internationale Sicherheitsberater Peter Tarlow. Der Professor der texanischen A&M University, der im Rahmen der WM-Vorbereitungen die Polizei in Rio de Janeiro berät, wies darauf hin, dass „gerade dieser Tage der Europäer oder Amerikaner entscheidet“, ob er Flugtickets und Eintrittskarten für Brasilien kauft.
Neben den Massenprotesten während des Confederations Cups könnten jetzt Nachrichten über eine neue Welle von Überfällen durch Jugendbanden am Strand von Rio und solche Unfälle eine WM-Besucher-Ebbe verursachen. Brasilien werde erneut „als Land ohne Sicherheit betrachtet“, so Tarlow. Für die FIFA und Brasilien wird die WM mehr und mehr zu einem Wettlauf mit der Zeit.