Interview zum Thema Fangewalt beim Fußball: „Härtere Strafen sind das falsche Signal“
Fanprojekt-Vertreter Michael Gabriel spricht sich vor dem Runden Tisch zur Fan-Gewalt für Dialog statt Repressionen aus.
Düsseldorf. Angesichts der jüngsten Ausschreitungen im Fußball berät am Montag im Berliner Innenministerium ein „Runder Tisch“ über Gegenmaßnahmen zur Fangewalt. Neben Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, DFB-Chef Theo Zwanziger und Liga-Präsident Reinhard Rauball nimmt auch Michael Gabriel (47) teil. Er ist Diplom-Sportwissenschaftler und vertritt als Leiter der Koordinationsstelle Fanprojekt (KOS) die Fan-Interessen.
Herr Gabriel, mit welchen Erwartungen gehen Sie in die Sitzung?
Michael Gabriel: Wir haben Bauchschmerzen, denn im Moment stehen die Zeichen auf Repression — man will Zeichen setzen und denkt an Strafverschärfungen, härteres Durchgreifen. Zielführend wäre hingegen, dass man gerade jetzt auf Entspannung, vernünftige Konfliktlösung und Dialog setzt.
Gabriel: Was genau ist denn passiert? Es hat bei zwei besonderen Spielen, nämlich in Dortmund und in Frankfurt, erhebliche Ausschreitungen gegeben — und das hat eine bundesweite Debatte ausgelöst, als wenn solche Zwischenfälle an der Stadionordnung wären. Das stimmt aber nicht, und auch die Statistiken, aus denen sogenannte Experten einen Anstieg der Gewalt ablesen, sind hier nicht eindeutig. Noch einmal: Jeder Verletzte ist einer zuviel, und Regelverstöße von Fans müssen bestraft werden. Aber bitte keine Generaldebatte über gewalttätige Fußball-Fans, die damit nur kriminalisiert werden.
Der niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann fordert eine Ausweitung des Stadionverbots und härtere Strafen.
Gabriel: Das sind falsche Signale. Wenn das tatsächlich so umgesetzt wird, dann wird das nicht zur Befriedung der Szene beitragen. In Italien hat man geglaubt, die Probleme in den Griff zu bekommen, indem man ausschließlich die Karte Repression und Härte gespielt hat. Man sieht ja, was dabei herausgekommen ist.
Wo sehen Sie positive Beispiele?
Gabriel: Generell gilt: Alle Probleme sind am ehesten lokal zu lösen, von den Beteiligten vor Ort. Und es zeigt sich, dass überall dort, wo man langfristig, konsequent und dialogbereit mit den Fans umgeht, die Probleme am geringsten sind. Der Schlüssel zur Lösung liegt immer darin, dass man die Fans wirklich ernst nimmt und nicht nur als Staffage missbraucht oder erst bei Problemen auf sie zugeht.
Was werden Sie Innenminister Schünemann entgegnen, der vorgeschlagen hat, dass die öffentliche Hand aus der Finanzierung der Fanprojekte aussteigt?
Gabriel: Wahrscheinlich liegt hier wie so oft ein Missverständnis in Bezug auf unsere Arbeit vor. Die Mitarbeiter in den Fanprojekten erreichen unglaublich viele junge Menschen, die sich ihnen bei Problemen vertrauensvoll zuwenden, sei es am Arbeitsplatz, bei Suchtproblemen oder auch bei Schulden. Darüber hinaus fördern die Fanprojekte Aktivitäten der Jugendlichen etwa gegen Rassismus und Diskriminierungen. Deswegen darf sich die Öffentliche Hand hier nicht aus der Verantwortung stehlen.
Und wenn doch wieder Bengalos angezündet und Böller geworfen werden?
Gabriel: Dann muss es Strafen geben, ganz klar. Die Fans wollen aber nicht pauschal kriminalisiert werden als Schläger und Pyromanen. In der Diskussion um die Pyrotechnik haben die Ultras gezeigt, dass sie verhandlungsbereit und kooperativ sein können. Es ist schade, dass ohne wirkliche Not die vom DFB und der DFL begleiteten Gespräche abgebrochen worden sind und nun die Ampel komplett auf Rot steht.